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Die Katastrophe ist das (Krisen-)Management

Von Otto Bürger

Fotomontage: Hand, die aus dem Meer ragt
Foto: Pete Linforth, pixbay.com

In Notfällen oder in akuten Krisensituationen geht man nahezu intuitiv nach einem klaren Muster vor, wenn man nicht in einen Schockzustand verfällt. Es gilt dabei mindestens drei Punkte zu beachten:

  1. Ruhe bewahren
  2. Sich ein klares Bild über die Lage verschaffen
  3. Maßnahmen ergreifen

Diese Grundregeln haben die Verantwortlichen im Rahmen der Coronakrise missachtet und setzen das jetzt bei dem immer akuter und wirtschaftlich drängender werdenden Energiethema fort. Statt Ruhe zu bewahren, wird von den Verantwortlichen Panik verbreitet. Bei Corona wurde Angst erzeugt, bei dem Energiethema werden die Preise durch Panikmeldungen und eine unverantwortliche Sanktionspolitik seit Oktober letzten Jahres kontinuierlich hochgetrieben.

Ein klares Bild der Lage hat die Öffentlichkeit zu Corona bis heute nicht. Stattdessen wird weiter viel Desinformation betrieben. Erst war es ganz wichtig, die Kurve abzuflachen („flatten the curve“), dann war der R-Wert das Maß aller Dinge, und bis heute wird eine 7-Tage-Inzidenz zum Richtwert erklärt. Wir wissen, dass das alles nur zur Verwirrung beitrug und beiträgt. Beim Energiethema wird mal von Speicherfüllständen und dann von Lieferkürzungen, wesentlich auf der Importleitung Nord Stream 1, berichtet. Geradezu grotesk ist dabei, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in diesem Zusammenhang erneut das Motto „flatten the curve“ zur Maßgabe erhoben hat, diesmal nicht zur Entlastung des Gesundheitssystems, sondern zur Energieeinsparung. Es ist also nicht nur die gleiche Verwirrungstaktik wie bei Corona, sondern auch noch dieselbe Wortwahl.

Mit einer solchen Fragmentierung und dem Lenken der Aufmerksamkeit von einem zum anderen Detailthema ist kein klares Bild der Lage zu vermitteln. Zu einem klaren Bild würde die Feststellung gehören, dass ausreichend Leitungskapazitäten aus Russland vorhanden sind. Und dass der Westen die neu fertiggestellte und betriebsbereite Nord Stream 2 allein aus politischen Gründen blockiert. Das wird in der öffentlichen Diskussion meist ausgeblendet. Zu einem klaren Lagebild würden aber auch Antworten auf die eigentlichen Kernfragen gehören, die öffentlich nie diskutiert werden: Welche Lieferverträge wurden in welcher Höhe von Gazprom gekürzt? Mit welchen Maßnahmen haben Unternehmen wie Uniper oder VNG, die Erdgas nach Deutschland importieren, auf die Kürzungen reagiert? Welche diplomatischen Aktivitäten hat die Politik entwickelt, um diese Maßnahmen der Unternehmen zu flankieren? Eine Nachfrage des Infosperber aus der Schweiz bei den betroffenen Gasunternehmen erbrachte keine Antwort zu diesen wichtigen Fragen – nur die Auskunft, dass diese Angelegenheiten vertraulich seien.

Die Öffentlichkeit wird nach der verfehlten Coronapolitik erneut verwirrt, der Bevölkerung wird Angst gemacht, und jetzt geht es zudem noch richtig heftig ans Portemonnaie.

Bundeskanzler Olaf Scholz schiebt die Schuld allein auf die russische Seite, wenn er als Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 3. September 2022 gleich zu Beginn sagt: „Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine sorgt weltweit für steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise.“ Die Sanktionen unerwähnt zu lassen, ist jedoch wenig hilfreich und zielt auf eine geradezu gewollte Verschärfung und nicht auf eine Lösung des Konflikts. Russland wiederum erklärt mit den Sanktionen des Westens und den daraus resultierenden Reparaturproblemen die Lieferkürzungen, wie einer dpa-Meldung zu entnehmen ist: „Die Gaslieferungen über Nord Stream 1 können nach Angaben Russlands wegen der Sanktionen bis auf weiteres nicht wieder aufgenommen werden. ,Wir wissen nicht, wie die Reparaturarbeiten durchgeführt werden sollen, weil die Sanktionen dies verhindern,` sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.“ Aus Sicht von Siemens Energy seien die an dem Verdichter entstandenen Leckagen im Normalfall nicht beeinträchtigend für den Betrieb einer Turbine und könnten vor Ort abgedichtet werden.

Diese technischen Fragen sind wichtige Details, die es zu klären gilt. Hier sind die importierenden Energieunternehmen wie Uniper als Vertragspartner von Gazprom in der Pflicht, kritisch nachzufragen und alles dafür zu tun, dass den Lieferverpflichtungen laut Vertrag nachgekommen wird. Haben Sie dazu etwas gelesen? Sanktionen sind von Menschen gemacht und technische Probleme sind in aller Regel lösbar. Aber gibt es Anstrengungen in diese Richtung?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gibt sich offenbar damit zufrieden, dass Russland über Nord Stream 1 kein Gas mehr nach Europa liefern wird. „Es kommt noch ein bisschen Gas über die Ukraine-Pipeline, aber dass Nord Stream 1 wieder aufgemacht wird, gehört nicht zu den Szenarien, von denen ich ausgehe,“ hatte der verantwortliche Minister am  5. September 2022 im „heute journal“ lapidar ausgeführt.

Bis hierhin bleibt festzuhalten, dass völlig unklar ist, wie die Regierung 55 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs – es sind gut 550 TWh pro Jahr, die aus Russland kommen – ersetzen will. Das ist eine Aufgabe, für die man Jahre, wenn nicht gar ein Jahrzehnt benötigt. Darüber hinaus ist Deutschland ein wichtiges Transitland für russisches Gas in Richtung Westen, unter anderem nach Frankreich. Der Anteil russischen Erdgases in Europa liegt bei 45 Prozent. Wo ist hier das Gesamtkonzept der Verantwortlichen? Waschlappen statt Dusche oder Reduzierung der Raumtemperatur helfen hier ungefähr so gut wie Masken gegen Coronaviren. Wer ein Land, das derart abhängig von Energieimporten ist, konzeptionslos in eine unübersehbare wirtschaftliche Unsicherheit stürzt, ist in verantwortlicher Position nicht mehr tragbar.

Dass wir uns kurzfristig nicht von russischen Energieimporten abkoppeln können, geht auch aus einer aktuellen dpa-Meldung hervor, wonach die EU ihre fossilen Einfuhren aus Russland in den vergangenen sechs Monaten zwar verringert habe, aber „dennoch importierte sie russische Energie mit einem Wert von schätzungsweise 85 Milliarden Euro. Hauptabnehmer unter den EU-Staaten blieb dabei Deutschland: Die Bundesrepublik importierte nach Crea-Angaben [Centre for Research on Energy and Clean Air, Anmerkung O. B.] in dem analysierten Zeitraum russische Energieträger für insgesamt 19 Milliarden Euro – weltweit gab nur China (34,9 Mrd. Euro) mehr Geld für russische Energie aus. Auf Platz drei folgten die Niederlande mit Ausgaben in Höhe von 11,1 Milliarden Euro.“

Der Öffentlichkeit werden wichtige und zentrale Zusammenhänge nicht erläutert und Informationen geradezu sträflich vorenthalten. Auffallend ist dabei, dass die naheliegenden und vordergründigen Maßnahmen überhaupt nicht ergriffen werden, wie: Klärung der Lieferkürzung zwischen den Vertragsparteien, zum Beispiel dem Erdgasimporteur Uniper und Gazprom, flankiert von diplomatischen Bemühungen der Bundesregierung. Für mich ist es nicht vorstellbar, dass hier eine 50jährige Gaspartnerschaft einfach ohne Alternativkonzept von einem Tag auf den anderen beendet wird. Dazu kommt noch die gerade auch mit Beteiligung von westeuropäischen Unternehmen getätigte Investition von rund 10 Mrd. Euro für Nord Stream 2. Es ist völlig inakzeptabel, dass die Bürger jetzt die Folgen zu tragen und gleich mehrfach die Kosten aufgebürdet bekommen, indem sie einmal über exorbitante Energiepreise und dazu noch über die beschlossenen Umlagen zur Kasse gebeten werden, bevor die Frage transparent geklärt ist, ob Uniper & Co. und die Bundesregierung alles unternommen haben, um den immensen Schaden durch die Energiepreisexplosion abzuwenden. Das Krisenmanagement der Regierung ist schlicht eine Katastrophe.

Da nicht davon auszugehen ist, dass die Verantwortlichen in Industrie und Politik ohne Grund so grob fahrlässig handeln und wichtige Dinge für die Öffentlichkeit verschleiern, bleibt, was uns Ernst Wolf in Erinnerung gerufen hat: „ Energiepreise werden nicht durch Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern vom globalen Finanz-Casino am Derivate-Markt festgelegt. Sie sind nichts als die Folge monumentaler Spekulation.“

Offensichtlich ist diese Spekulation also gewollt. Wer dafür geradesteht und die Lasten trägt, dürfte klar sein.

Dieser Text spiegelt die Ansichten und Ziele einer Einzelperson wider. Er stellt nicht die offizielle Haltung des Landesverbands oder der Gesamtpartei dar. Sachliche Kritik und Gegenmeinungen werden an dieser Stelle gern veröffentlicht.