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Offener Brief an Jan Josef Liefers

Bremen, den 24.04.2021


Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Art 5 (1), Grundgesetz

Sehr geehrter Jan Josef Liefers,

ich möchte mich bei Ihnen für Ihr mutiges Video im Rahmen der Kunstaktion #allesdichtmachen bedanken. Sie haben dort mit scharfem ironischen Witz auf Missstände aufmerksam gemacht. Dafür sind Sie in den letzten Tagen medial mit Häme übergossen, als Corona-Leugner verunglimpft und nach rechts außen geprügelt worden. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt ihres Clips war dagegen nicht oder kaum zu finden. Ich weiß nicht, ob Sie mit einer derartig heftigen Reaktion auf ein Video von nicht einmal eineinhalb Minuten gerechnet haben. Offensichtlich haben Sie für viele in dieser Gesellschaft eine Grenze überschritten. Und vielen Journalisten scheinen Sie weh getan zu haben. Warum eigentlich?

Ironisch bedanken Sie sich für den Alarmismus in den Medien, die gleichzeitig dafür sorgen, „dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung“. Was ist falsch an dieser Feststellung? Im letzten Jahr war im medialen Minutentakt von der Überlastung der Intensivstationen die Rede, vom drohenden Mangel an Beatmungsgeräten und der damit verbundenen Triage, Zahlen von Millionen Infizierten und 500.000 Toten und mehr gingen durch die Presse. Nichts davon ist eingetroffen. Ist es da sachfremd, von Alarmismus zu sprechen? Wobei es aber geblieben ist: Weiterhin sind die Alten und Vorerkrankten gestorben, diejenigen also, die es doch zu schützen galt. Ist das nicht ein Grund, nach der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen unserer Regierung zu fragen?

Auch Ihnen ist offensichtlich aufgefallen, dass mit der Eingleisigkeit und Perspektivlosigkeit der Regierungspolitik (von einem Lockdown in den anderen) sich vermehrt Kritiker zu Wort melden. So sagt beispielsweise Wolfgang Kubicki im März diesen Jahres im Interview über die fehlenden Zahlen und Analysen aus dem RKI: „Bisher berief sich das RKI auf Unwissenheit. Sich dumm zu stellen, ist aber dauerhaft keine ausreichende Entschuldigung für Maßnahmen, die Grundrechte einschränken.“ Ihr Video greift diese Zunahme kritischer Kommentare auf, und ironisch stimmen Sie vielen Leserbriefschreibern der letzten Monate zu: „In letzter Zeit habe ich aber das Gefühl, dass einige Zeitungen damit beginnen, alte, überwunden geglaubte Vorstellungen von kritischem Journalismus wieder aufleben zu lassen. Dagegen müssen wir uns wehren! Das dürfen wir nicht zulassen! Wir sollten einfach nur allem zustimmen und tun, was man uns sagt. Nur so kommen wir gut durch die Pandemie.“

„Verantwortungslosen und menschenverachtenden Ärzten und Wissenschaftlern – so ein anderer Abschnitt Ihres Videos -, die zu anderen Schlüssen kommen als die Experten unserer Regierung … dürfen wir keine Bühne geben. Schließlich wissen nur ganz wenige Spezialisten, was wirklich gut für uns ist.“ Sie spielen, denke ich, darauf an, dass Experten, die nicht den Medien und dem offiziellen Regierungskurs folgen, nicht erwähnt oder auch ausgegrenzt werden. Zwei Beispiele fallen mir dazu sofort ein: Der Statistiker Göran Kauermann, Professor an der Münchener Ludwig Maximilian Universität nennt die Datenlage in Deutschland „eine einzige Katastrophe“iii. Dass die Infektionskurve unter alten Menschen trotz Lockdown nach oben schoss, hatte das RKI in seinen Daten versteckt. Sichtbar wurde das nur, weil Statistiker die Daten nochmals aufbereitet hatten. Bis in die Tagespresse hat er es damit nicht geschafft. Und der Mathematiker Prof. Luckhaus hat im letzten Jahr die Deutsche Akademie der Naturforscher, die Leopoldina, verlassen. Der Grund: Luckhaus sprach sich aufgrund seiner wissenschaftlichen Studien gegen den Lockdown aus. Seine Veröffentlichungen dazu wurden von der Akademie massiv behindert.

Solche Missstände spricht ihr Video ironisch an. Was ließe sich entgegnen? Auf dieser Sachebene hätte eine öffentliche Auseinandersetzung ja auch stattfinden können. Diese sachliche Auseinandersetzung hat es aber nicht geben. Stattdessen Häme und Verunglimpfung. Für Sie ist das sicherlich mindestens unschön, Ausgrenzung belastet. Aber Sie haben auch viel erreicht. Denn Ihnen ist mit ihrem Stückchen Kunst und der Reaktion darauf ein Lehrstück in politischer Bildung (vielleicht als „Gesamtkunstwerk“ die Vorlage für ein aktuelles Theaterstück, im Sinne Brechts zu inszenieren) gelungen. Wie in einem Blitzlicht wird sichtbar, wie sehr die Gesprächskultur in Öffentlichkeit und Medien bei uns – man muss es so sagen – auf den Hund gekommen ist.

Bastian Angenendt schreibt im Bremer Weser-Kurier vom 24. April, der lauteste Applaus komme aus einer Ecke, „in der schon lange kein Interesse mehr an seriösen Diskussionen gezeigt wird“, von Menschen, die „zu Tausenden ohne Maske auf die Straße gehen … Seite an Seite mit Nazis und wirren Predigern“. Herr Angenendt – und deshalb zitiere ich ihn – hat zunächst selbst auf jede seriöse Diskussion verzichtet, stattdessen einen typischen Kommentar mit typischen Argumentationsmustern verfasst. Im ganzen Text gibt es keinerlei Sachbezug, stattdessen den Vorwurf des Applaus von der falschen Seite. Aber was will der Schreiber damit sagen? Ich habe zu dieser Art des verqueren Denkens (oder sollte man sagen „Querdenkens“?) kaum Zugang. Die Erde ist rund, und sie bleibt rund, auch wenn die AfD das behauptet. Ein Film wird nicht dadurch schlecht, dass ein Neonazi im Publikum sitzt. Und man darf ohne Gewissensbisse die Straßenbahn benutzen, auch wenn zwei Reichsbürger mitfahren. Der Applaus-Vorwurf hat schlicht die Funktion, Sie wie andere nach rechts zu rücken, ohne sachlichen Hintergrund. Das ist diffamierender Journalismus. Und auf dieses mediale Mobbing wird dann noch eins draufgesetzt, denn – so der Schreiber – unter den Millionen, die Prominente wie Sie, Herr Liefers, erreichen, sind sicherlich auch viele, die jetzt in ihrer „Corona-Müdigkeit … das Einhalten lebenswichtiger Regeln weniger ernst nehmen“. Kritik ist also nicht erlaubt, weil sie falsch verstanden werden könnte? Weil viele Bürgerinnen und Bürger dumm und unmündig sind? Und von den Medien an die Hand genommen werden müssen? Ist das gemeint? Mit solchen Argumenten sind wir von der Presseauffassung totalitärer Systeme nicht mehr entfernt.

Im Stern ist in einem Artikel von Kester Schlenz zur Aktion #allesdichtmachen die Rede von Verhöhnung staatlicher Coronamaßnahmen und einer Verbeugung vor Querdenkern und Verschwörungstheoretikern. Auch hier gibt es keine Auseinandersetzung in der Sache. Sie, Herr Liefers, sprechen, so Herr Schlenz, „die vergiftete Sprache von Verschwörungstheoretikern, die von Gleichschaltung schwafeln, wenn Ihnen die Argumente ausgehen“. Das hat mit Ihrem Video nichts zu tun, aber „Gleichschaltung“ rückt in die Ecke derer, die zu unhistorischen Nazivergleichen neigen. Wir sind wieder beim medialen Mobbing.

Beliebt ist bei dieser Art des Journalismus auch, Dinge zu unterstellen, die gar nicht gesagt worden sind, um den anderen dann erfolgreich der Lüge zu überführen. „Es gibt die kritischen Diskurse in unserer Gesellschaft“, schreibt Herr Schlenz. „Wer das Gegenteil behauptet, lügt.“ In Ihrem Video ging es – soweit ich es verstanden habe – um Meinungs- und Aufmerksamkeitssteuerung, nicht um Meinungsfreiheit. Das muss Herr Schlenz übersehen haben oder – zugunsten seiner Argumentation (oder auch medialen Aggression) – übersehen haben wollen.

Mit vielen anderen Schauspielern, Künstlern und Politikern wird auch Jan Böhmermann auf einer Seite mit dem Titel „Unfuckingfassbar“, auf der eingangs Ihr Bild prangt, zitiert. Böhmermann hat sich per Twitter zu Wort gemeldet und schreibt, das einzige Video, das man sich ansehen solle, „wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat: Charité Intensiv, Station 43“. Auch hier keinerlei Stellungnahme in der Sache. Stattdessen unterschwellig die Unterstellung, Sie und andere hätten die Ansteckung vieler mit dem Coronavirus noch gar nicht ernst genommen, würden die an Corona-Erkrankten und -Gestorbenen mitleidslos übergehen. Woher diese reflexhaften böswilligen Anschuldigungen? Muss man inzwischen wirklich jedem kritischen Video, jedem kritischen Musikstück vorausstellen, dass man weiß, dass es das Corona-Virus gibt und Menschen daran erkranken und sterben? Und dass man trotzdem auf die schwierige Situation von arbeitslosen Menschen ohne große frühere Einkommen und entsprechende Rücklagen aufmerksam machen möchte?

Und als letzter und quasi handfester (man könnte auch sagen gewaltbereiter) Kritiker sei der SPD-Politiker Garrelt Duin genannt, der in bester Tradition mit den von der SPD seinerzeit initiierten Berufsverboten am liebsten gleich Ihre Existenz ruinieren möchte und auf Twitter forderte, die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten müssten die Zusammenarbeit mit Schauspielern wie Liefers und Tukur beenden. Garrelt Duin sitzt im Rundfunkrat!

Sehr geehrter Jan Josef Liefers,
Künstler müssen Kritik aushalten, keine Frage. Aber Sie sind hier mit einer völlig unsachlichen medialen Schmutzkampagne konfrontiert, für die ich mich beinahe bei Ihnen entschuldigen möchte. Es tut mir leid, für Sie, für mich und viele andere, dass – sobald es um das Coronavirus geht – das Recht auf (künstlerische) Kritik an Politik und Medien bei weiten Teilen der Öffentlichkeit offenbar nur noch eingeschränkt gilt. Und dass viele Journalisten, die sich hier zu Wort melden, Rufmord und Schmutzkampagnen betreiben, statt sich einer sachlichen (oder gern auch ironisch-künstlerischen) Auseinandersetzung zu stellen. Auf diesem Weg bestätigt die mediale und öffentliche Reaktion – traurigerweise – die Berechtigung und Notwendigkeit Ihrer Aktion.

Noch einmal vielen Dank dafür,

Jochen Hering

Dieser Text spiegelt die Ansichten und Ziele einer Einzelperson wider. Er stellt nicht die offizielle Haltung des Landesverbands oder der Gesamtpartei dar. Sachliche Kritik und Gegenmeinungen werden an dieser Stelle gern veröffentlicht.