von Rodolfo Bohnenberger
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März , veröffentlicht am 15.04.2021 (1), das den Berliner Mietendeckel vom 23. Februar 2020 zu Fall gebracht hat, ist eine handfeste Niederlage für alle Mieter:innen nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Land.
Es wird die Verdrängung von einkommensärmeren Mieter:innen aus ihren Wohnbezirken (in Berlin und woanders) weiter verschärfen, weil die Mieten nun wieder völlig ungezügelt in unbezahlbare Höhen steigen; mit brutalen Konsequenzen für die Mehrheit, insbesondere für Ältere, für Kinder und Familien. Deren elementare soziale Netzwerke, Kita- und Schulanbindung und gewachsene Versorgungsstrukturen brechen weg, und die Klassenspaltung manifestiert sich noch gravierender in segregierten Stadtteilen. Bremen kann davon eine trauriges Lied singen. Die von der Immobilienlobby herbeikonstruierte Begründung, im Klageverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht politisch vertreten durch CDU und FDP, die sich nun in dem Urteil wiederfindet, ist abstrus. Ein Bundesland hätte angeblich kein Recht, über solche Dinge zu entscheiden, weil das Bundessache wäre. Aber hatte nicht der Bund große Teile der Zuständigkeit für das Wohnungswesen im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahr 2006 den Ländern übergeben und sich damit auch geschickt aus der Bundesfinanzierungspflicht dafür verabschiedet? (2) Ein von den Abgeordneten in Berlin in einem geordneten parlamentarischen Verfahren beschlossenes Gesetz wurde durch ein absolutistisch-rechtsexpertokratisch durchregierendes Bundesverfassungsgericht, einer »Juristokratie«, nichtig gemacht.
Das wirft offensichtliche Fragen auf zum Zustand unserer »Demokratie« und der darin amputierten Volkssouveränität. Bei Ingeborg Maus finden wir historische und demokratietheoretische Ausarbeitungen dazu (vgl. Maus, Ingeborg, 2011: Über Volkssouveränität. Suhrkamp, 2. Auflage 2019). Maus plädiert dafür, uns rückzubesinnen auf die revolutionären Demokraten der Aufklärung im 18. Jahrhundert, auf Sieyes, Rousseau, Kant und andere. Maus: »In jeder Verfassung, die sich überhaupt auf das Prinzip der Volkssouveränität beruft, ist das Volk durch seine Funktion eindeutig bestimmt: Es ist als Gesetzgeber Gegenspieler der gewalthabenden (exekutivischen und judikativen) Staatsapparate.« Und uns bewusst zu werden, wie raffiniert es herrschende Machteliten und die ihnen dienenden Staats- und Verfassungsrechtler (Carl Schmitt und viele andere) in über hundert Jahren geschafft haben zu verschleiern, was wahre Volkssouveränität und Demokratie überhaupt ist; und wie wenig die Inthronisierung eines »vormodernen Naturrechts« (Maus) in Gestalt eines sich anmaßenden Bundesverfassungsgerichts damit zu tun hat. Für die bundesweite Mieterbewegung gibt es nun dringenden Anlass für eine schonungslose Selbstkritik ihrer bisherigen Strategie – und dann für einen Neubeginn.
Und dieser Neubeginn ist gar nicht so neu, er läuft schon länger in Berlin mit der Bewegung für ein Bürgerbegehren aufbauend auf Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes: »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Nachahmenswert auch in anderen Bundesländern! Etwa 240.000 Wohnungen von Immobilienkonzernen werden danach in Berlin vergesellschaftet. Viele davon waren vorher schon in Kommunalbesitz und wurden unter Finanzsenator Sarrazin in Berlin und einer SPD/LINKE-Landesregierung privatisiert. Mit Vergesellschaftung ist ausdrücklich nicht Verstaatlichung gemeint, sondern Überführung in demokratisch verwaltetes Gemeineigentum (»Anstalten öffentlichen Rechts«), und dieser Vorgang ist nach Artikel 15 des Grundgesetzes mit einer Entschädigung an die jetzigen Eigner verbunden.
Wie kam es überhaupt zu dieser Mietendeckel-Initiative? Sie kam als Ablenkreaktion auf eine starke (nicht nur Berliner) Bewegung für die Vergesellschaftung von großen Wohnungskonzernen, mit Zustimmungswerten von über 50% in Berlin, wo die Mieten besonders deutlich anstiegen und wo ca. 80% der Menschen in Mietwohnungen leben. In Bremen wohnen ca. 60% in Mietwohnungen.
Der (ohnehin nur fünfjährige!) Mietendeckel endete so, wie von den machtelitären Strategen angestrebt: Ein Jahr lang lag das Verfassungsgerichtsurteil in der Schublade und wurde nun, nachdem alle im Ausnahmezustand niedergeschlossen wurden, punktgenau terminiert vor den Bundestagswahlen, medienwirksam präsentiert. Der CDU und FDP ist damit ein wahlkampftaktischer Seitenhieb auf SPD und Linke gelungen. Es ist ein vorläufiger Sieg der im Hintergrund lobbyierenden, ausschließlich renditeorientierten Wohnungskonzerne und Kapitalinvestoren, wie z. B. Black Rock (Ex-Deutschland-Chef: Friedrich Merz) mit ihren 9 Billionen Anlage suchendem Kapital. Das sind die eigentlich im Hintergrund Regierenden in diesem Land.
Die Volksentscheid-Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« läuft gerade in Berlin mit der Mammutaufgabe von über 200.000 zu sammelnden Unterschriften bis Ende Juni. Davon sind ca. ein Drittel geschafft. Hier kann bundesweite Unterstützung wirklich helfen, und natürlich nachahmende Initiativen in anderen Bundesländern. Also: Volksentscheide müssen her!
Die nächste politische Sackgasse bahnt sich bereits an: SPD und Linke (und Teile der Grünen) versuchen, für die Bundestagswahl Stimmen zu gewinnen im Rahmen einer Kampagne für ein (nun) bundesweites Mietpreisstopp-/Mietendeckel-Gesetz (3), wohlwissend, dass dies ohnehin keine Chance auf eine Mehrheit im Bundestag hätte. Die aus der Basis kommende Initiative für einen Volksentscheid in Berlin verdient unsere Unterstützung.
Quellen
(2) »Die Zuständigkeit für die soziale Wohnraumförderung liegt seit der Streichung der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das ‘Wohnungswesen’ in Artikel 74 GG a. F. im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahr 2006 bei den Ländern und den einzelnen Kommunen. Damit konform sieht auch der nach Art. 125a Abs. 1 GG mangels Ersetzung durch Landesrecht als Bundesrecht fortgeltende § 3 WoFG vor, dass Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände bei der sozialen Wohnraumförderung zusammenwirken und die Länder die soziale Wohnraumförderung als eigene Aufgabe durchführen.« (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Wohnungsbau und Wohnungsbauförderung durch den Bund, S. 4)
(3) https://taz.de/Plan-der-Linkspartei/!5762360/