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Wie banal ist das Böse heute?

Von Otto Bürger

Hannah Arendt
Hannah Arendt, aufgenommen im Jahr 1958 von Barbara Niggl Radloff (Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)

Die Beschäftigung mit Hannah Arendt ist gerade in dieser Zeit wieder lohnend. Klare Sprache und klarer Verstand — zwei Dinge, die zunehmend seltener werden in unserer Zeit, in der die Sprache immer verwaschener wird und dadurch eine Verklärung der Tatsachen erfolgt. In dieser Zeit des betreuten Denkens, in der meist nur noch die gängige, massenhaft medial verbreitete Meinung wiedergekäut wird, nimmt die lebendige Menschlichkeit gefährlich ab, wie uns Ahrendt verdeutlicht. Die Fähigkeit, recht und unrecht, schön und hässlich zu unterscheiden schwindet. Dies kann letztlich in die Katastrophe führen, so ihre Warnung.

„Niemand hat das Recht zu gehorchen“ ist ein berühmtes Zitat aus einem Gespräch mit Joahim Fest und war auch der Titel einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin im Jahr 2020 – die man ehedem nur mit Maske betreten durfte. Der offensichtliche Widerspruch wurde von den Besuchern nicht erkannt. Gehorsam ist in den letzten Jahren erneut zur „ersten Bürgerpflicht“ geworden. Gehorchen sollten dabei nur Kinder, ermahnt uns Arendt nachdrücklich. Erwachsene sollten sich ihres eigenen Denkens bemächtigen. Leider konnten wir, insbesondere in den letzten fast vier Jahren, ein Selberdenken und -urteilen an verschiedenen Stellen nicht erleben. Stattdessen griff die „Banalität des Bösen“ vermehrt um sich, und die meisten – von ganz oben bis ganz unten – verhielten und verhalten sich tatsächlich erneut wie ein Rädchen in einer fatal funktionierenden Gesellschaftsmaschine: Sie machen ohne eigenes Denken einfach mit. An die Stelle einer individualistisch verstandene Menschenwürde, wie sie auch in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, tritt ein moralisch überhöhtes und stark ausgrenzendes Denken. Man sei doch schließlich für Gesundheit und müsse daher alle anderen schützen. So erfolgt schnell die Spaltung der Gesellschaft.

Weiter geht die moralische Gesellschaftsspapaltung fast übergangslos in der Kriegs- und zudem in der Klimafrage. Alle, die da entsprechend mitmachen, fühlen sich als die Guten und geradezu auf eine „naturhafte Weise verbunden“, wie es Hannah Arendt beschreibt. Sie bemerken die skandalöse Ausgrenzung anderer Menschen offenbar nicht. Besonders gefährlich sind dann die „Verwaltungsmassenmörder“, wie sie Ahrendt bezeichnet, die sich keinerlei Schuld bewusst sind. Letztlich machen alle – vom Behördenchef, Arzt, Richter, Polizisten bis zum Pförtner am Einlass der Ausstellung „Niemand hat das Recht zu gehorchen“ – wie das berühmte Rädchen mit und gehorchen stumpf. Wo der sprichwörtliche „Sand im Getriebe“ erforderlich und im Sinne des wirklich selbst durchdachten Guten dienlich wäre, tragen und unterstützen sie alle mehr oder weniger einen gesellschaftlichen Weg, der für die allermeisten von uns in eine wirtschaftlich und gesellschaftlich ganz schwere Zeit führen wird. Das wirklich Böse liegt nämlich leider noch unerkannt und versteckt hinter diesen banal bösen Mitmachern, die sich vielfach und viel zu leicht zu nicht selbständig denkenden Mitmachern degradieren lassen.

Wer sich etwas tiefer mit der Philosophie von Hannah Arendt beschäftigen möchte und nicht so gerne längere Texte liest, dem ist das Video von Dr. Walther Ziegler empfohlen.