Von Otto Bürger
In letzter Zeit wird öfter die Forderung laut, dass Politiker für Schäden haften, die durch ihr Tun oder Unterlassen entstehen. Auf den ersten Blick scheint dies eine gute Idee zu sein, aber bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Forderung als wenig sinnvoll.
Jeder mag einmal kurz darüber nachdenken, wie zufrieden er mit den verschiedenen Gerichtsurteilen ist, gerade im Hinblick auf Gerichtsverfahren der Freiheitsbewegung. Juristische Verfahren, insbesondere wenn es um grundlegende Dinge geht, sind häufig sehr langwierig. Sie können sich viele Jahre hinziehen und sich von Instanz zu Instanz schleppen. Bis dahin sind die Entscheidungen der politischen Mandatsträger lange gelebte Realität geworden und häufig schon wieder ganz andere Themen akut. Ein konkretes Beispiel ist die Einflussnahme der Kanzlerin Merkel auf die Ministerpräsidentwahl in Thüringen.
Aber das ist nicht der wirkliche Kernpunkt meiner Kritik. Diese Forderung nach Politikerhaftung lenkt ab und verlagert die Anliegen eines jeden von uns lediglich in eine andere Institution (hier das Gericht), wo wir wiederum nicht sicher sein können, dass es in unserem Sinne gelöst wird. Denn das Volk ist der Souverän, wie es so schön heißt und für eine Demokratie gerne und oft betont, dann aber doch ebenso schnell wieder unter den Teppich gekehrt wird. Dieser Aspekt ist aber aus meiner Sicht zentral. Jedem sollte bewusst sein: „Ich bin Macht“. Die Forderung nach der Politikerhaftung verlagert unsere Macht allerdings einmal mehr ins Außen und lenkt uns von uns selbst ab.
„Was Institutionen und Gesetzen eines Landes Macht verleiht, ist die Unterstützung des Volkes,“ erklärt uns Hannah Arendt und stellt hier die zwei Seiten einer Medaille dar. Macht ist gerade in einer Demokratie nicht auf Dauer angelegt, sondern sie wird jemandem anvertraut. Eine funktionierende Demokratie bedarf daher aktiver Bürger, die von Ihren Rechten Gebrauch machen und darauf achten, dass die Macht in ihrem Sinne bei Gesetzen und Regelungen etc. genutzt und das Vertrauen nicht ausgenutzt wird. Daher ist die Möglichkeit über die Direkte Demokratie immer wieder die Machtübertragung zu konkretisieren und die Machtübernahme zu überprüfen sehr sinnvoll. Die Mandatsträger erhalten somit einen klaren Auftrag, den es umzusetzen gilt. Mit Direkter Demokratie ist das Verhältnis zwischen der Macht des Bürgers und der Macht des Mandatsträgers, der den Bürgerwillen repräsentiert, klar geregelt. Auftrag und Mandat sind bestmöglich umrissen, die Umsetzung ist gut überprüfbar.
Die Forderung nach Haftung hält gerade jene Menschen davon ab, ein Mandat zu übernehmen, die sich die meisten Bürger wünschen würden. Übrig bleiben die narzisstischen Charaktere, die wir ohnehin viel zu häufig als Mandatsträger antreffen und die regelmäßig der Meinung sind, alles richtig und nie Fehler zu machen. Aus einem solchen System resultiert geradezu zwangsläufig Intransparenz, Täuschung und Betrug. Deshalb sollte das Gegenteil gelten: Gerade derjenige, der ein Mandat übernimmt, muss auf Verzeihen hoffen können. Wer würde sonst ein politisches Amt übernehmen, bei dem häufig unklar ist, was das Ergebnis einer Entscheidung oder Handlung ist?
Es ist sinnvoller, die Mandatsträger und das souveräne Volk auf einer Ebene zu sehen, sich von dem Denken in Hierarchien zu befreien. Jeder ist für das Gelingen des Ganzen verantwortlich. Deshalb reden wir doch auch von Zivilcourage oder „Wehret den Anfängen“ oder „Nie wieder“, wo jeder aufgefordert ist, aktiv zu werden. Die Bürger sollen rechtzeitig eingreifen und mit ihrem Votum gegensteuern, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Die Direkte Demokratie bietet eine gute Basis für solch ein stärker ausblanziertes Verhältnis zwischen den Mandatsträgern und den Bürgern.
Mandatsträger sind als das zu sehen, was sie eigentlich sind: Volksvertreter und damit Diener der Bürger oder des Volkes. Nehmen wir das ernst und bleiben wir auf Augenhöhe mit unseren politischen Mandatsträgern. Aber ebenso wichtig ist, dass die Mandatsträger das Dienen in den Mittelpunkt und sich selbst in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger stellen. Im Dienen steckt Demut. Eine funktionierende Demokratie braucht daher aber nicht nur dienende Mandatsträger, sondern auch wache und aktive Bürger zu deren Unterstützung. Wie heißt es so schön? Das Leben ist politisch! Mit der Möglichkeit der konkreten Beteiligung an politischen Entscheidungen können wir genau das wieder klarer ins Bewusstsein rufen und uns gegenseitig stärken. Letztlich zum Vorteil Aller.
Der folgende Ausspruch, der oft fälschlicherweise Friedrich Schiller zugeschrieben wird, bringt es auf den Punkt:
„Die Großen hören auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen.“
Begegnen wir uns auf Augenhöhe.