Von Paula Sardow
Wenn es im Laden etwas nicht gibt, bestellt man es eben im Internet. So einfach ist das. Solange meine Bedürfnisse befriedigt werden, muss ich nicht nach links und rechts schauen und kann so weitermachen wie bisher. Warum sollte ich mich darum kümmern, dass die kleinen Einkaufsstraßen in den Stadtteilen veröden und abends beim Spazierengehen überhaupt nichts mehr los ist? Da gehe ich halt weiter und freue mich auf das spätere Fernsehen oder auf das Internet. Wir kommen doch gut zurecht! Und wenn mir doch einmal etwas fehlt, dann hält es ja nicht lange an, weil es Gott-sei-es-gedankt, die virtuelle Welt und unsere alltäglichen Probleme gibt, die mich beschäftigen.
Gibt es einmal eine Pause davon, dann kann ich mich ja immer noch mit wirklich wichtigen Themen befassen und darf dazu profunde Meinungen und vor allem Gefühle entwickeln, zum Beispiel Gendern – ganz wichtig, im alltäglichen Sprachgebrauch die Leute am besten berücksichtigen, die nicht wissen, ob sie Mann oder Frau sind – oder dass es echt schlimm ist, wenn blonde westliche Menschen sich nicht nur nicht dafür schämen, dass sie das sind, sondern auch noch Rastafarilocken tragen und gar damit öffentlich auftreten wollen; und nicht zu vergessen, der schlimme Putin, der ja quasi im Alleingang Kriege anzettelt, und wir, wie ich letztens von meinem Vater erfahren durfte, sollten einfach mal „den Arsch in der Hose“ haben, um dem Einhalt zu gebieten. Denn es könnte ja sein, dass „die Russen dann in Deutschland stehen“ – liegt ja nahe.
Auch natürlich, was die Gaspreise und die eklatanten Preiserhöhungen der Dinge des alltäglichen Bedarfs betrifft – das gehört ja logischerweise zum „Arsch“ dazu. Wen juckt es dann schon, dass in diesem Zusammenhang „die Betriebe, Bäckereien, Handwerksbetriebe, Reinigungsfirmen usw. über dieses Jahr die wirtschaftliche Betätigung einstellen müssen“, wie Robert Habeck bei Maischberger kundtat. Es wird da ja auch nicht mehr von Arbeit gesprochen, sondern von „Betätigung“ – ein Begriff, der schöne Assoziationen mit Freizeitbeschäftigung weckt. Wunderbar. Diese Menschen können ja auch erst einmal relaxen und auch einmal etwas für sich tun.
Ich mache mir am besten keine Gedanken über den Herbst oder gar über den Winter, denn unsere Regierung wird es schon richten. Da habe ich großes Vertrauen. Denn es war ja schließlich immer so. Im Moment sterben ja nur die Geschäfte, auch etwas größere Betriebe vielleicht. Das hat ja erst einmal nichts mit mir zu tun. Also abwarten. Und sollte es doch etwas kalt in der Wohnung werden und die Miete vielleicht teurer und das Essen und die Dinge des alltäglichen Bedarfs und das Benzin – das ist ja schon teuer, das wird ja jetzt wohl so bleiben und nicht etwa noch teurer werden –, dann bleibe ich schön zu Hause und hoffe, dass das Fernsehen und das Internet funktionieren. Das wird es doch hoffentlich, oder?
Und wenn nicht, dann kann ein Stromausfall ja durchaus spannend sein – Survival in der eigenen Wohnung, das ist doch endlich mal eine Abwechslung! So jedenfalls stellen es Robert Habeck und Andrea Paluch im zweiten Band von „Kleine Helden, große Abenteuer“ dar (Klappentext: „Emily erfährt aus erster Hand, wie aufregend ein nächtlicher Stromausfall sein kann.“ ) Ich bin wirklich dafür, dass es mehr solcher Kinderbücher gibt, die unseren Kleinen die Normalität nahebringen. Da finde ich es nur gut, dass der Winnetou von unserer Bildfläche verschwindet, das ist ja nun wirklich veraltet: Freundschaft, Treue und Loyalität. Ups. Habe ich jetzt etwa Begriffe verwendet, die rechts sind?
Aber jetzt mal zu den Spinnern, die sich auf die Straße stellen und von Freiheit und gar von der Öffnung von Nordstream 2 sprechen. Dazu habe ich auch eine schöne Meinung einer Arbeitskollegin parat: „Das Problem ist, dass es in jedem Dorf einen Dorftrottel gibt und dass sie sich jetzt vernetzen können.“ Besser hätte ich es nicht auf den Punkt bringen können. Es muss unbedingt eine Überwachung für diese Miesmacher her, denn die sind gefährlich, wie uns ja die wirklich gute und differenzierte Begrifflichkeit der „Delegitimierung des Staates“ nahelegt.
Also meine Lieben, alles ist gut und alles wird gut, keine Bange! Man kann schließlich aus der größten Scheiße noch etwas machen, auch wenn es Scheiße bleibt. Ach, und ja! Hier noch eine Lektüre, die wirklich weiterhilft und sehr schön, in einfacher Sprache geschrieben ist: „Die besten Weltuntergänge“ von Andrea Paluch. Unbedingt lesen – tagsüber oder bei Kerzenschein.