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So geht Bankraub heute

Ausgebreitete 200-Euro-Scheine

Von Otto Bürger

Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?

Bertolt Brecht – Die Dreigroschenoper

Einen Dietrich, um in eine Bank einzubrechen, wie zu Brechts Zeiten, benutzt schon lange niemand mehr. Bankräuber kommen auch nicht mit einem Nylostrumpf über dem Kopf in eine Bank und verlangen sämtliches Geld, wie es manche ältere Kriminalfilme darstellen. Das wäre alles vergeblich, denn in den allermeisten Banken befindet sich gar kein Bargeld mehr. Das Bankgschäft läuft heute überwiegend digital. Ab und an wird angeblich noch ein Geldautomat gesprengt, um an das ersehnte Bargeld zu kommen. Dies lässt sich allerdings durch eine Markierung der Scheine mit Tinte grundsätzlich leicht zu einem erfolglosen Unterfangen machen. Die wirklich kriminelle Energie (z. B. Geldwäsche) steckt sowieso längst im digitalen Geldverkehr. Gegenüber dem, was in dem Feld an digitalem Betrug passiert und möglich ist, wirkt die Sprengung eines Geldautomaten wie ehemals das Aufbrechen eines Zigarettenautomats.

Breiter bekannt gewordene Beispiele für den Betrug im digitalen Geldverkehr sind die Bankenkrise mit der Lehmann-Pleite, der Cum-Ex-Skandal oder die Wirecard-Insolvenz. Bei alldem ging es jeweils um Beträge im Milliardenbereich. Die Deutsche Bundesbank hat ermittelt, dass die Bankenrettung den deutschen Steuerzahler 236 Mrd. Euro gekostet hat. Bei Cum-Ex sind nach Angabe der ehemaligen Kölner Oberstaatsanwältin Brorhilker, 28,5 Mrd. Euro gestohlen worden. Bei Wirecard belaufen sich die Forderungen aller Gläubiger auf 15,4 Mrd. Euro. Mit diesen Beipielen kann man in etwa erahnen, um welche ungeheuren Beträge es wirklich geht. Alles kein Bargeld! Alles digital! Bei all diesen Finanzbetrügereien kommen die Bankräuber nicht mehr von außen mit der Sturmhaube über dem Kopf, sondern sie sind Teil des Finanzsystems und sitzen meist in den Direktionszimmern. Von „„Nieten in Nadelstreifen“ kann man da nur bedingt sprechen. Auf dieser Ebene ist man gut ausgebildet und weiß, was man tut. Die Finanzlobby ist nicht nur in Deutschland, sondern weltweit die mächtigste Interessensvertretung. Diese Lobby sorgt dafür, dass nicht zuviel Aufhebens um die jeweiligen Finanzskandale gemacht wird und somit das Vertrauen in die Geldwirtschaft erhalten bleibt.

Jetzt mag man denken, das sind kriminelle Geschäfte, die an den großen Finanzplätzen der Welt verübt werden. Wall Street, London oder vielleicht auch Frankfurt. Im beschaulichen Bremen kann das sicher nicht passieren. Hier greifen noch die Kontrollinstanzen wie Bankenaufsicht, Aufsichtsgremien, Wirtschaftsprüfer, und es gibt nur anständige Bankiers im Vorstand der Geldhäuser. Hanseatische Kaufmannstradition halt. Aber war da nicht die Greensill-Bankenpleite in Bremen? Richtig. Im März 2021 ist die in Bremen weitgehend unbekannte Greensill Bank mit einer Bilanzsumme von 4,5 Mrd. Euro pleite gegangen. Immerhin die drittgrößte Bankenpleite der letzten zwanzig Jahre (nach Lehmann in 2008 mit 16,2 Mrd. Euro und der Maple Bank in 2016 mit 5 Mrd. Euro). Zum Vergleich und mit Bezug auf das Bremer Niveau: Die in 2008 pleite gegangene Weserbank aus Bremerhaven hatte eine Bilanzsumme von lediglich 120 Mio. Euro.

Geld futsch – Allgemeinheit zahlt

Kommunen, die ihr sicher geglaubtes Festgeld bei der Greensill-Bank in Bremen anlegten, sind öffentlicher Gelder in dreistelliger Millionenhöhe verlustig geworden. Für Privatanleger ist der gesetzliche Einlagensicherungsfonds der Banken eingesprungen und musste 2,7 Mrd. Euro ersetzen. Die Schweizer Großbank Credit Suisse, die in Greensill-Geschäfte involviert war, geriet ins Trudeln und musste von der kleineren UBS durch eine Übernahme aufgefangen werden. So konnte offenbar ein schlimmeres Bankenbeben gerade noch verhindert werden. Es geht also um beträchtliche Summen, und der Zusammenbruch der ehemaligen Bremer Bank geht sicher in die Finanzgeschichte ein. Da es um soviel Geld geht, welches in dubiose Kanäle geflossen ist, lässt sich vermuten, dass einiges an krimineller Energie am Werk gewesen sein muss. Wie zuvor schon erwähnt, gibt es eigentlich vielerlei Kontrollgremien und Sicherheitsvorkehrungen, um solche Bankenpleiten zu verhindern.

Ein verlässliches Bankensystem ist essentiell für unsere Volkswirtschaft, deshalb gibt es für diesen Wirtschaftszweig in Deutschland eine eigene Aufsichtsbehörde. Die Aufgaben der Bankenaufsicht sind in § 6 des Kreditwesengesetzes (KWG) zusammengefasst. Sie bestehen darin, Missständen im Kreditwesen entgegenzuwirken, die:

  • die Sicherheit der den Instituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden,
  • die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte beeinträchtigen oder
  • erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft nach sich ziehen können.

Neben der Bankenaufsicht gibt es, wie bei Aktiengesellschaften üblich, den Aufsichtsrat, der als Aufsichtsgremium den Vorstand überwacht, sowie Wirtschaftsprüfer als externe Kontrollinstanz, zu deren Aufgaben unter anderem die Prüfung der ordnungsmäßen Buchführung, des Jahresabschlusses und des Lagebeberichts gehört. Ein Bankenvorstand hat darüber hinaus eine Organisationsstrukur sicherzustellen, die üblicherweise eine interne Kontrolle (Stichwort Vier-Augen-Prinzip) gewährleistet. Zusätzlich gibt es ein Risikocontrolling innerhalb der Bank, das als interne Überwachungsinstanz eine bedeutende Rolle spielt und bei riskante Geschäftsvorfällen Warnungen auszusprechen hat.

Das ehemalige Greensill-Gebäude an der Martinistraße

Sollen bei der entstandenen Schieflage der Bremer Greensill-Bank all diese unterschiedlichen Instanzen nichts gemerkt haben? Alle Sicherheitsvorkehrungen nicht gegriffen haben? Das ist wohl selbst für Nicht-Banker und wirtschaftswissenschaftliche Laien nicht plausibel und vorstellbar. Auch Unvermögen und Fahrlässigkeit dürften ausscheiden, denn schließlich sind auf allen Ebenen ausgewählte und hochbezahlte Vollprofis am Werk gewesen. Es bleibt also nur der starke Verdacht, dass hier mit viel krimineller Energie zu Werke gegangen worden sein muss.

Im deutschen Recht gibt es nicht ohne Grund eine Vielzahl möglicher Straftaten, die im Rahmen einer Insolvenz vorkommen bzw. denkbar sind. Dazu gehören:

  • Betrug, § 263 StGB
  • Untreue, § 266 StGB
  • Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, § 266a StGB
  • Bankrott und besonders schwerer Fall des Bankrotts nach den § 283f. StGB
  • Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB
  • Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB

Die Vielzahl der möglichen Straftaten, die das Recht hier vorsieht, zeigt allein, dass man rein rechtlich bei einer Insolvenz grundsätzlich viel kriminelle Energie vermuten kann und muss.

Am 3. März 2021 wurde durch Einschreiten der Aufsichtsbehörde (BaFin) die Schließung der Greensill-Bank verfügt. Es gab offenbar erhebliche Unregelmäßigkeiten. Raimund Röseler, der seinerzeitige oberste Bankenaufseher, sprach im Handelsblatt davon, dass die Greensill-Bank „in erster Linie ein großer Fake war”. Dieser Fake hat immerhin rund sieben Jahre unentdeckt bleiben können. Dennoch ist Röseler stolz darauf, dass er der Bank mittels einer ein halbes Jahr vor der Schließung gegründeten Task-Force auf die Schliche gekommen sei. Das anschließende Insolvenzverfahren läuft bis zum heutigen Tag. Bislang wurde noch keine Anklage erhoben.

Blicken wir zurück, wie sich die Dinge entwickelten und was bekannt wurde. In 2014 hat die Greensill Capital die Bremer Nord Finanz Bank in der Martinistraße übernommen. Bereits die Geschichte der Nord Finanz um die ehemaligen Senatoren Bortscheller und Nölle war gelinde gesagt bewegt und wird gut von Maren Beneke im Weser-Kurier zusammengefasst. Der Finanzaufsicht (BaFin) war die Adresse der mehrfach strauchelnden Bank an der Bremer Martinistraße schon vor der Übernahme durch Greensill gut bekannt.

»Aggressive Finanzkonstruktionen«

Mit Greensill kommt deutlich neuer und internationaler Schwung in das Bankhaus, was am Ende nicht gut ausgehen wird, wie wir inzwischen wissen. Wer sind die neuen internationalen Spieler? Da ist der Australier Lex Greensill, Jahrgang 1976, der bereits als Banker bei Morgan Stanley und Citigroup arbeitete und in der ganz großen Bankenwelt zu Hause war. In 2011 gründete er die Greensill Capital in London, die wiederum die Nord Finanz Bank an der Bremer Martinistraße übernommen hat. Gemeinsam mit seinem guten Freund, dem Stahlmagaten Sanjeev Gupta, trieben sie die Bilanzsumme der jetzigen Greensill-Bank in Bremen rasant nach oben. Gupta brauchte immer frisches Geld für die Übernahme maroder Stahlunternehmen. Greensill stellte die Finanzierung sicher, und beide Unternehmen erfreuten sich einer raschen Expansion. Die GFG Alliance, das Unternehmen von Gupta, hat mehr als zwei Milliarden britische Pfund von Greensill erhalten und war damit weitaus größter Kreditnehmer der Bank aus Bremen.

Jeder Risikocontroller hätte bei einem solchen Klumpenrisiko eine deutliche Warnung aussprechen müssen. Laut Finanzregeln darf auf einen Kunden nicht mehr als ein Viertel der Bilanzsumme entfallen. Was wusste der Aufsichtsrat? Konnten die Wirtschaftsprüfer diese Risikolage nicht erkennen? Damit das ganze Geschäftsgebahren nicht zu offenkundig war, wurde das eingesetzt, was man in der Bankenwelt „aggressive Finanzkonstruktionen“ nennt, also hochgradig riskante Anlageformen. Bei diesen Finanzkonstruktionen handelte es sich um sogenannte „Funky tools“. Der alberne Begriff sollte bereits Warnsignal genug sein. Letztlich dient er der Vertuschung. Denn die Kredite an die Gupta-Firmen erscheinen dabei nicht gebündelt, sondern werden als viele kleine Kredite verbucht und zwar unter dem Namen der Kunden zukünftiger Geschäfte von Guptas Firmen. Umgangssprachlich würde man sowas wohl durchaus als Schneeballsystem bezeichnen können. Die Geschäfte wurden zwar durch Ausfallversicherungen abgesichert, den Versicherern in Japan und Australien wurde die Sache aber letztlich zu heikel. Sie stiegen aus und kündigten die Verträge. Damit brach das Kartenhaus endgültig zusammen.

Selbst der ehemalige britische Premierminister und jetzige Außenminister David Cameron, der zwischen beiden politischen Ämtern als Lobbyist und Berater für Greensill gewirkt hat und nach einem Bericht der BBC vermutlich 10 Mio. Dollar kassiert haben soll, konnte die Pleite nicht mehr aufhalten. In Großbritannien hat die Bremer Bankenpleite unter dem Begriff „Greensill-Skandal” Wellen geschlagen. Das dürfte nicht zuletzt an der Beteiligung Camerons gelegen haben. So erfährt man aus der Financial Times, dass Cameron noch im November 2020, also wenige Monate vor der Zwangsschließung der Bank durch die Finanzaufsicht, seinen Einfluss massiv eingesetzt haben soll. Cameron habe in dieser Phase noch versucht, auf die deutsche Regierung Einfluss im Sinne von Greensill auszuüben.

Damit aber nicht genug. Im Aufsichtsrat von Greensill saß Eberhard Kieser, Jahrgang 1951. Ein Mann mit großer Erfahrung gerade im Risikomanagement von Banken, denn er gehörte 25 Jahre dem Prüfungsverband deutscher Banken als Vorstand an. Als Kieser 2017 den Aufsichtsratsposten bei Greensill in Bremen übernahm lag die Bilanzsumme der Bank lediglich bei 338 Millionen Euro und stieg innerhalb weniger Jahre rasant an und erreichte 2021 schließlich einen Wert von 4,5 Milliarden Euro. Das blieb nicht unbeobachtet beim Prüfungsverband, Kiesers ehemaliger Wirkungsstätte. Der Verband sprach in 2020 deshalb wohl eine Warnung gegenüber der BaFin aus, machte aber von seinen eigenen weiteren Möglichkeiten keinen Gebrauch.

Ein Rentner macht Druck

Dann ist da noch der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Greensill-Bank, Maurice Thompson. Hier gibt es eine Verquickung zur Berliner Ratingagentur Scope, wo er gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied und Investor gewesen sein soll. Scope hat der Greensill-Bank im September 2019 noch ein „A“-Rating gegeben, ein absolutes Top-Rating, wie es sonst nur die besten deutschen Banken erhalten. In 2020, als die Missstände offenbar virulenter wurden, wurde das Rating deutlich auf „BBB+“ herabgestuft. Diese Ämterverquickung hat dazu geführt, dass die Ermittlungen derzeit auch auf den Aufsichtsrat ausgeweitet werden. Auf diese Spur kam die Bremer Staatsanwaltschaft aber offenbar nicht von allein. Wer zusätzlich den Aufsichtsrat mindestens wegen Insolvenzverschleppung anzeigte, war der pensionierte Banker Karlheinz E. Als sachkundiger Bürger hatte er im Auftrag seiner Gemeinde Vaterstetten angefangen, sich mit dem Fall zu beschäftigen. Offenbar hat ihn der Fall dann so gepackt, dass er auf eigene Faust weitermachte, nachdem ihn die Gemeinde nicht mehr benötigte. Karlheinz E. bohrte weiter und stellte unbequeme Fragen, auch an den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Credit Suisse. Denn das Geldinstitut war wie beschrieben in die Greensill-Geschäfte verwickelt und hatte vier Fonds aufgelegt, die mit dem Firmengeflecht von Lex Greensill zusammenhingen. Die Fonds trugen offenbar erheblich zum Trudeln der Credit Suisse bei, was schließlich zur Übernahme durch die UBS führte. Die Gemeinde Vaterstetten ist die einzige Kommune verblieben, die Strafanzeige gegen frühere Führungskräfte der insolventen Greensill-Bank erstattet hat. Die anderen Städte haben sich offenbar auf eine Forderungsabtretungsvereinbarung, die der Insolvenzverwalter Dr. Michael Frege initiiert hat, eingelassen. Frege, der Bruder des Frontmanns der Punkband „Die Toten Hosen“, ist erfahren in der möglichst geräuschlosen Bankenabwicklung. Hat er doch schon das Insolvenzverfahren der Lehmann-Bank durchgeführt. Für die Insolvenzverwaltung sollen seinerzeit immerhin 100 Millionen Euro geflossen sein.

Der Pensionär Karlheinz E. erweist sich in dem Insolvenzverfahren des Dr. Frege als der wirkliche Punk, der dem zu versanden drohenden Verfahren immer wieder Druck macht. Er lässt nicht locker und schreibt Beschwerden wegen Untätigkeit an Bremens Justizsenatorin Schilling (SPD) und die Bremer Generalstatsanwältin Reitemeier. Die Gemeinde Vaterstetten beweist Mut und stellt sich wie ein unbeugsames gallisches Dorf im Namen des Rechts gegen die übermächtige Finanzlobby. Als letzte Kommune hat man Strafanzeige gestellt und sich nicht mit einer Abtretungsvereinbarung abspeisen lassen. Möge beider Mut belohnt werden.

Am Ende sieht man aber erneut: Das Geld ist nie weg – es ist nur woanders und findet seine dunklen Wege. Das findet in der digitalen Finanzwelt in erhebliche größerem Umfang statt als in der Zeit des Bargelds. Die Bremer Staatsanwaltschaft hat sich immer noch nicht dazu geäußert, ob sie nach gut vier Jahren Ermittlungen Ende diesen Jahres Anklage erheben wird. Werden wir den britischen Außenminister David Cameron, ehemalige Manager der Credit Suisse und Manager der Ausfallversicherungen aus Japan und Australien, als Zeugen vor einem Bremer Gericht sehen? Die Lobby der Finanzelite ist stark. Auch wenn manche Bankmanager gern im Rampenlicht stehen mögen, so vermeiden sie doch aufs äußerste, dass Licht auf ihre „vertraulichen“ Geschäfte fällt.

Wie sagte einst Henry Ford?

Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.

Titelfoto: Willfried Wende, pexels.com

Dieser Text spiegelt die Ansichten und Ziele einer Einzelperson wider. Er stellt nicht die offizielle Haltung des Landesverbands oder der Gesamtpartei dar. Sachliche Kritik und Gegenmeinungen werden an dieser Stelle gern veröffentlicht.