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Bremen macht ABI – ein Resümee

Aktuelle Entwicklungen in Bremens politischem Paralleluniversum

Theaterbühne mit Publikum

Von Otto Bürger

Im Februar 2024 hat dieBasis in Bremen die Kampagne „Bremen macht ABI“ gestartet. Mit Armut, Bildung und Infrastruktur macht sie Politikfelder zum Thema, bei denen in Bremen schon geradezu eklatanter Handlungsbedarf besteht. Gefordert wird eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Die Politik in Person des Präsidenten der Bürgerschaft Dr. Bovenschulte möge sich vorrangig diesen drei Themenfeldern annehmen und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger für Besserung sorgen. Die Kampagne verzichtete bewusst auf Schuldzuweisungen. Die gewählten Formulierungen waren sachlich, aber bestimmt verfasst. Dies sollte es möglichst vielen Menschen, Vereinen, Verbänden, Organisationen oder Parteien möglich machen, die Aktion zu unterstützen oder die Forderungen aufzufgreifen und mit eigenen Überlegungen und Vorstellungen voranzubringen.

Rund tausend E-Mails haben wir verschickt, an Politiker, Parteien, Verbände, Kammern, Organisationen, Gewerkschaften, Kirchen, Elternsprecher und verschiedene andere soziale Gruppen. Zwei Pressemitteilungen gingen an die Medien in und um Bremen, allerdings ohne, dass dies in der Berichterstattung Niederschlag fand. Weiterhin haben wir an Haushalte in Bremen und Bremerhaven rund 10.000 Briefe und Postkarten verteilt, verbunden mit der Anregung, die Postkarten direkt an Dr. Bovenschulte zu senden, um die Forderungen der ABI-Aktion zu unterstützen. Wie viele Karten im Rathaus eingegangen sind, wissen wir nicht, aber die Zahl der Rückmeldungen, die uns erreicht hat, war insgesamt gering. Ein Bürgerschaftsabgeordneter der Grünen und diverse Mitglieder dieser und anderer Parteien auf Beiratsebene baten, aus dem „Verteiler“ genommen zu werden. Die Volksvertreter möchten lieber nicht so genau wissen, was das Volk will.

Inzwischen ist der Landeshaushalt für Bremen diskutiert und verabschiedet worden. Dieser beinhaltet unter anderem Subventionen in Höhe von 300 Millionen Euro für den Weltkonzern ArcelorMittal und weitere 300 Millionen für eine neue Stadtentwicklungsgesellschaft, die sich vorrangig um das von der Zech-Gruppe verworfene Projekt „Abriss Parkhaus Mitte“ kümmern soll. Mit dieser Gesellschaft wird praktisch eine Parallelstruktur geschaffen zur Behörde der Senatsbaudirektorin Frau Prof. Reuther, die mit der Abteilung für Stadtplanung und Bauordnung unter Herrn Bewernitz und der Abteilung Regional- & Stadtentwicklung, Stadtumbau und Wohnungswesen unter Herrn Dr. Sünnemann eigentlich zuständig wäre. Das Erfordernis einer neuen Entwicklungsgesellschaft begründete Bürgermeister Bovenschulte damit, dass man damit schneller agieren und langwierige Ausschreibungen umgehen könne. Im Klartext heißt das wohl, dass in den bekannten Hinterzimmern Steuergelder und Aufträge genehmen Personen zugeschlagen werden könne. Bekannt auch als Bremer Filz.

Aber zurück zu den Themen Armut, Bildung und Infrastruktur und der Kampagne „Bremen macht ABI“. Unmittelbar nach Verabschiedung des Haushalts im Juni dieses Jahres, in dem die beachtliche Summe von 600 Mio. Euro für durchaus fragwürdige Zwecke vorgesehen sind, verhängen sowohl die Sozial- als auch die Bildungssenatorin eine Haushaltsperre für ihr jeweiliges Ressort. Soziale Einrichtungen werden mangels finanzieller Mittel geschlossen. In der Bildungspolitik beginnt, auch bedingt durch den Beginn des neuen Schuljahres, immerhin eine breitere öffentliche Debatte. Dabei wird viel über unbesetzte Lehrerstellen die diesbezüglichen Unterschiede zwischen Bremen und Bremerhaven diskutiert. Man redet darüber, den Lehreramtsstudiengang auszubauen, damit mehr Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden können. DIe CDU will die Senatorin abwählen lassen, und Bündnis Deutschland fordert eine Enquetekomission. Das politische Paralleluniversum ist also beschäftigt, und die Presse berichtet dem geneigten Medienkonsumenten darüber lang und breit mit Freude, auf dass ihm entgehen möge, dass etwas Wesentliches fehlt: das ernsthafte, zielgerichtete Bestreben, Probleme zu lösen. Aber diese Art Kult kennen wir inzwischen seit Jahrzehnten: „Und täglich grüßt das Murmeltier“.

Ich hoffe, dass die Kampagne „Bremen macht ABI“ zumindest mehr Menschen vor Augen führt, dass die politischen Akteure nicht an einer Verbesserung der Situation arbeiten und daran auch nicht interessiert sind. Lieber führen sie als Laiendarsteller ihr politisches Theaterstück auf, und die Medien, statt Defizite aufzuzeigen oder wirkliche Lösungen von den Akteuren einzufordern, spielen mit und werden damit selbst zum Teil des Paralleluniversums. Die Diskussion auf besetzte und unbesetzte Planstellen oder die Abwahl der Senatorin zu verengen, ohne den wesentlichen Aspekt, nämlich das Kindeswohl oder die Situation der Schülerinnen und Schüler überhaupt zu erwähnen, ist mehr als schändlich.

Wer ein wenig die Situation verfolgt oder direkt mit Lehrerinnen und Lehrern spricht, bekommt schnell einen Einblick, wie angespannt die Situation an den Schulen ist. Die Folgen der Coronamaßnahmen und deren Auswirkungen auf die Kinder kann man nicht mehr übersehen. Durch die starke Migration kommen zudem immer mehr Kinder in die Schulen, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen und andere kulturelle Gewohnheiten mitbringen. Die Gewalt an den Schulen nimmt zu — selbst an manchen Grundschulen muss regelmäßig die Polizei zur Hilfe gerufen werden. All das führt zu Überforderung der Beteiligten und in Zukunft zu vermehrten Schulabgängern, denen es an elementaren Kenntnissen im Lesen und Schreiben oder Rechnen fehlt. Es ist nicht einmal im Ansatz erkennbar, dass sich in absehbarer Zeit etwas zum Besseren wendet, im Gegenteil muss mit einer weiteren Verschlechterung der Bildungssituation für die Schülerinnen und Schüler im Land Bremen gerechnet werden.

Im Sozialbereich sieht es nicht besser aus. Zu Beginn der ABI-Kampagne lag die Armutsquote in Bremen schon über 28 Prozent. In den wenigen Monaten, die seitdem vergangen sind, ist sie nach aktueller Erhebung auf über 29 Prozent angestiegen, und die Tendenz scheint ungebrochen. Die sich verstärkende Armut ist ein Skandal und steht im krassen Gegensatz zum vorgeblichen Anspruch vieler sich sozial gebender und sozialdemokratisch nennender Politiker — gerade hier in Bremen. Vor unserer Haustür entwickelt sich eine soziale Lage, die schnell zu Unfrieden und Gewalt führen kann. Wie schnell legitime Proteste in bürgerkriegsähnliche Zustände umschlagen können, ist derzeit in Großbritannien zu beobachten. Es ist grob fahrlässig von den politischen Entscheidungsträgern, keine Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der sozialen Situation in Bremen und Bremerhaven zu schaffen. Oder ist es gar Vorsatz?

Man sieht, es nützt nichts, darauf zu hoffen, dass die politischen Entscheidungsträger von selbst aktiv werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Themen weiterhin klar und deutlich benennen und dürfen nicht müde werden, adäquate Lösungen einzufordern. Darum ist eine Stärkung der direktdemokratischen Mitbestimmung so wichtig: Nur so können wir das Paralleluniversum aufbrechen und die Akteure dazu zwingen, die Lebensrealität der einfachen Menschen zum Ausgangspunkt ihrer Entscheidungen zu machen.

Foto: Monica Silvestre, pexels.com

Dieser Text spiegelt die Ansichten und Ziele einer Einzelperson wider. Er stellt nicht die offizielle Haltung des Landesverbands oder der Gesamtpartei dar. Sachliche Kritik und Gegenmeinungen werden an dieser Stelle gern veröffentlicht.