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Souverän sein und definieren was soll!

Von Otto Bürger

Stilisierte Menschenmenge
Bild: Gerd Altmann auf Pixabay

Die politischen Zeichen stehen auf Sturm. Die Unzufriedenheit der Bürger mit der Politik der Regierung dürfte so hoch sein, wie kaum zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Dennoch hält die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP, was in großen Teilen daran liegen dürfte, dass medial die nur allzu berechtigte Kritik stark heruntergedimmt wird. Die Lebenswirklichkeit, die beispielsweise in der „Tagesschau“ präsentiert wird, stimmt nicht mehr mit der Realität, wie sie viele Menschen erleben, überein. Nur wer sich dem Realitätsabgleich verweigert und dem medial vermittelten Bild vertraut, kann die Politik der Regierung noch gut heißen. Dennoch regt sich immer wieder Widerstand, allerdings nur punktuell und überwiegend zu Einzelinteressen. Wahrscheinlich gibt es wie immer drei Lager: eines, das fest zur Regierung steht, eines, das sich mehr oder weniger neutral und abwartend verhält, und eines, das massiv unzufrieden mit der derzeitigen Politik ist.

Der unzufriedene Teil der Bevölkerung wird dabei immer lauter. Aber eine wirkliche Bündelung der Kräfte gelingt nicht, da es immer wieder nur um aufflammende Proteste einzelner Interessengruppen geht. Ein Bruch der Koalition war für Ende letzten Jahres aufgrund der Stimmungslage durchaus nicht unwahrscheinlich. Er hätte Druck aus dem Kessel nehmen können. Aber eine Alternative war nicht bereit, jedenfalls keine wirkliche politische Alternative in der bestehenden Parteienkonstellation. So konnte die Regierung sowohl das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ihr einen verfassungswidrigen Haushalt attestierte, als auch die Mitgliederbefragung der FDP zum Austritt aus der Regierung überstehen. Das hat aus meiner Sicht seine Ursache wesentlich darin, dass der Souverän nicht souverän agiert und sich von den Parteien einmal mehr den Schneid abkaufen lässt.

Der Beginn des Jahres 2024 steht im Zeichnen heftiger Proteste der Bauern. Die Demonstrationen mit den Treckern, Schleppern und Fuhrunternehmen machen ordentlich Eindruck und sind nicht zu übersehen. Verschiedene Politiker, zum Beispiel die Minister Lindner und Özdemir, treten bei den Protestkundgebungen auf und werden mit heftigen Buh-Rufen bedacht. „Gut gebrüllt“, möchte man den protestierenden Landwirten zurufen. Aber was ändert sich? Die Herren Minister fahren in ihren Limousinen unter Polizeischutz ab, und die Protestierer bleiben frustriert zurück. Ein Ritual, das wir seit Jahrzehnten so durchspielen. Ist der Minister oder die jeweilige Regierung gnädig, gibt es marginale Zugeständnisse. Mehr passiert nicht. Dazu tragen vermutlich auch die Lobbygruppen wie der Bauernverband bei, der letztlich nur Partikularinteressen vertritt und nichts dazu unternimmt, ein breites Bündnis zu formieren. Der unentschlossene Teil der Bevölkerung bleibt deshalb weiter abwartend und freut sich allenfalls, dass die Landwirte der Politik einmal Paroli bieten.

Es macht daher aus meiner Sicht Sinn, die Dinge noch einmal grundlegend zu ordnen. Als erstes sollten wir uns vergegenwärtigen, dass wir in einer Demokratie leben. In einer Demokratie ist das Volk oder der Bürger der Souverän. Der Abgeordnete ist der Volksvertreter, wenn es sich wie bei uns um eine repräsentative Demokratie handelt. Der Minister – das Wort kommt von dem lateinischen „ministare“ und bedeutet „dienen“ – ist der Diener des Souveräns. Üblicherweise ist es so, dass der Souverän bestimmt und nicht der Diener. So sieht es auch das Grundgesetz vor, wenn es in Artikel 20 heißt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Der Diener kann faktisch nur das Zepter übernehmen und über den Souverän bestimmen, wenn dieser sich seiner Rolle nicht bewusst und/oder uneins ist.

Wenn man sich das klar gemacht hat, wird deutlich, wie widersinnig es ist, wenn ein Minister eine Rede bei einer Demonstration hält. Seine Aufgabe wäre es zuzuhören. Dazu muss der Souverän aber souverän werden, und zwar möglichst bald, um Schlimmeres zu verhindern. Wer protestiert und brüllt, zeigt wenig, eigentlich keine wirkliche Souveränität. Wie gesagt, der Minister fährt nach seinem Demoauftritt bequem mit der Limousine vom Ort des Protests davon, vielleicht zum nächsten Essen in feiner Gesellschaft. Die Demonstranten, hier: die Landwirte, bleiben in der Kälte zurück.

Was kann man also anders machen? Wie kann der Souverän jetzt wirklich souverän werden? Jeder hat seine eigene Meinung. Die Spaltung ist offensichtlich nur zu leicht möglich, wie wir immer wieder feststellen können. Die Medien tragen ihren Teil dazu bei, indem sie immer wieder den Blick auf den Konflikt, das Spaltende oder das Einzelinteresse lenken. Genau da liegt aber auch die Lösung: Der Souverän kann souverän werden, wenn er definiert, was soll. Das funktioniert allerdings genau nicht, indem Einzel- oder Extremforderungen gestellt werden. Vielmehr gilt es, möglichst den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Im Rahmen der Frage, wie wir die Landwirtschaft in Deutschland organisieren wollen, könnte der gemeinsame Nenner darin liegen, dass der Selbstversorgungsgrad mit Nahrungsmitteln wieder 98 Prozent erreicht, also die Höhe von 1990/91. Bei der letzten Erhebung 2021/22 lag der Selbstversorgungsgrad nur noch bei 86 Prozent. Nahrungsmittel zu importieren, ist nicht nachhaltig und vor dem Hintergrund der Transportwege nicht umweltfreundlich. Zudem dürften die Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft für die Beschäftigten in anderen Ländern tendenziell schlechter sein. Die Forderung nach einem höheren Selbstversorgungsgrad sollte also leicht so ein kleinster gemeinsamer Nenner sein, auf den sich sehr viele Bürger einigen können.

Wenn der Souverän sich jetzt darauf verständigt, den Selbstversorgungsgrad an Nahrungsmitteln zu erhöhen und der Politik diese klare Vorgabe macht, handelt er souverän. Die Volksvertreter sollten in der Folge Ideen entwickeln, wie Landwirte wirtschaftlich so gestellt werden können, dass der Selbstversorgungsgrad in Deutschland sich wieder erhöht. Die Forderung lässt ausreichend Freiheitsgrade, das gesetzte Ziel zu erreichen. Die Bedingungen für die Landwirte müssen sich in der Folge aus meiner Sicht automatisch verbessern, weil nur sie für einen höheren Selbstversorgungsgrad in unserem Land sorgen können.

In einem optimalen Szenario werden dem Souverän die gefundenen Lösungsansätze noch im Wege der Direkten Demokratie zur Abstimmung (Art. 20 GG) gestellt. Der Souverän hat aber in jedem Fall für die nächste Bundestags- oder Landtagswahl eine klare Messgröße für seine Wahlentscheidung und wird dadurch wirklich souverän, ohne seinen Unmut brüllend demonstrieren zu müssen. Wenn sich nachhaltig und nicht nur punktuell etwas ändern soll, müssen breite Bündnisse gefunden werden, und das scheint mir in vielen zentralen Politikfeldern möglich, wenn wir die gewohnten Denkstrukturen verlassen und die Forderungen grundsätzlicher, eben souverän, stellen.

Dieser Text spiegelt die Ansichten und Ziele einer Einzelperson wider. Er stellt nicht die offizielle Haltung des Landesverbands oder der Gesamtpartei dar. Sachliche Kritik und Gegenmeinungen werden an dieser Stelle gern veröffentlicht.