Ein offener Brief des Philosophen und Basis-Mitglieds Bernd Oei an die Mitglieder des Bremer Senats.
Sehr geehrte Damen und Herren mit Regierungsverantwortung,
meine Frage im Neuen Jahr lautet: Quo vadis Bremen?
Seit Beginn der „Pandemie“ hoffe ich, dass „es“ irgendwann aufhört. Nicht nur es, das Virus, sondern das Gegen- statt Miteinander, das Mobbing, das sich täglich verschlimmernde politische Reizklima, das Menschen in Schubladen steckt, das ich Lagerbildung und Schwarz-Weiß-Denken nenne und mich fatal an die Entstehung totalitärer Systeme erinnert.
Einen Versuch, Argumente pro und contra Corona-Maßnahmen friedlich und konstruktiv – im Idealfall mit Belegen – auszutauschen, habe ich schmerzlich vermisst. Gräben entstanden und mit ihnen Zweifel an der Wahrheit, die jeder in dieser Stadt für sich reklamiert. Die Chance auf Lernen von Andersdenkenden oder Empathie für Menschen mit einer konträren Erfahrung in den letzten zwei Jahren, eine neutrale, sachliche Berichterstattung oder Inklusion von Minderheiten, wird bis heute vertagt.
Was bei vielen Bürgern, begünstigt durch die aktuelle Politik, zunimmt, ist in meinen Augen eine antidemokratische Gesinnung, Wut, am Ende Hass und Frustration oder Depression: negative Energie und ein eigentümliches Reizklima aus Misstrauen, Feindseligkeit und Ausgrenzung. Dieser Riss geht mittlerweile durch Familien und ehemalige Freundeskreise.
Nachdem ich mich bisher resigniert zurückgezogen habe, möchte ich mit diesem Schreiben zumindest nicht Teil einer Schweigespirale und allgemeinen Politikverdrossenheit sein, die aus Feigheit oder gar Gleichgültigkeit, naiver Hoffnung auf Rückkehr zur Normalität oder Systemanpassung zusieht, wie Millionen Menschen Unrecht widerfährt.
Zur Klarstellung meiner Position:
Ich bin weder ein Leugner noch ein Hetzer, verurteile niemand für seine Entscheidung, sich zu den Maßnahmen, u. a. das Impfen, zu positionieren, und behaupte gewiss nicht, die Wahrheit zu kennen. Es geht nicht darum, Recht zu haben, sondern um Antworten auf die Ohnmacht eines von der Ausgrenzung Betroffenen.
Als Mensch, der denkt, Verantwortung sucht und Freiheit als eine Aufgabe, nicht als einen Freifahrschein betrachtet, verletzt mich der stattfindende Abbau von deeskalierender Kommunikation tief. Ihre Regierungsmaßnahmen, aber auch das Wegschauen vieler Bürger, machen mich ratlos, manchmal auch wütend über das, was bundesweit, besonders aber vor meiner Haustür in Bremen geschieht.
Die Hexenjagd auf Nicht-Systemkonforme und das Selektieren erinnern mich an das kollektive Verdrängen, die Suche nach Schuldigen einer Krise und wie es 1933 dazu kommen konnte, dass eine anfängliche Minderheit die Kontrolle übernahm. Es wird seit langem privat wie öffentlich faktisch geleugnet, verunglimpft, neuerdings gespuckt. „Querdenkenden“ spricht man Egoismus zu und Solidarität ab, sachliche Argumente werden unterdrückt, Zwänge oder Sorgen ignoriert. Menschen, die mit dem rechten Spektrum oder Verschwörungstheorien (Schuldzuweisungen) nichts zu tun haben, sehen sich diffamiert, denunziert, desavouiert. Weil die reflektierende Stimme des Gewissens auf taube Ohren stößt, entstehen Isolation und „Lager“, in denen immer weniger miteinander und meist übereinander geredet wird.
Meine ethischen Grundwerte sind Toleranz Andersdenkender und vor allem Anders-Betroffener, die Erlebnisse anders verarbeiten als ich. Kant: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Wir leben in einem Land der Ängstlichen, die ihre Neurosen bis zur Hysterie pflegen.
Der Verstand setzt bei vielen Diskussionen aus, namentlich in Schulen, wo eigenständiges Denken, Fühlen und Werte frühzeitig vermittelt, Demokratie und Solidarität vorgelebt werden sollten. Ob die meisten Lehrer wirklich die staatliche Politik befürworten, ist die eine Seite. Als Beamte haben sie nur eingeschränkte Rechte und wie im Gesundheitswesen auch kaum eine Möglichkeit, nach ihrem Gewissen Verantwortung zu tragen. Es könnte doch sein, dass die Jugend den Preis für die Fehler ihrer Väter und Großväter zahlen muss: Was für Rente und Umwelt gilt, dürfte auch in Erziehungsmaßnahmen Anwendung finden. Freiheit lehrt man nicht über Zwang und Inklusion nicht über Ausgrenzung von Argumenten oder Gruppen.
Unsere Kinder wachsen unter Extrembedingungen auf und werden diese Zwangsbedingungen als Normalität im kollektiven Gedächtnis behalten. Der Jugend wird schlichtweg ihre Jugend genommen, vielen Selbständigen die berufliche Existenz. Digitalisierung und Mediatisierung potenzieren Vorurteile, anstatt sie zu überbrücken.
Mein eigenes berufliches Schicksal, als Künstler oder Dozent Jahre ohne finanzielle oder sonstige Hilfe von Auftritten ausgeschlossen zu sein (2G-Auflagen), nehme ich klaglos hin, weil es um Wichtigeres geht als um meinen Status, meine Privilegien oder meine Komfortzone. Die schmerzhaften Einschnitte sind Konsequenz meiner Überzeugung, dass der vorauseilende Gehorsam in diesem konkreten Fall freiwilliger Unterwerfung und Abgabe von Reflexion gleichkommt. Es bedarf aber einer Haltung mit Würde: Diese ist unvereinbar mit medialer Verurteilung von Menschen, die sich Gedanken machen und basisdemokratische Strukturen wünschen, weil die Politik in ihrem augenblicklichen Zustand einem Marionettentheater der Wirtschaft und einer Kulturindustrie gleicht.
Wenn es so schlimm um das Virus steht, geht es um unsere gemeinsame und nicht nur die eigene Zukunft: Wer solch drastische Eingriffe in das Leben erlaubt, ja sogar forciert, muss gewichtige Gründe dafür vorbringen, die dieses unsagbare Leid, das auf Menschen jetzt lastet, rechtfertigt.
Bislang wurde postfaktisch legalisiert, was bereits vorher praktiziert und legitimiert wurde: die Beschneidung individueller Rechte mit dem Argument des Gemeinwohls. Erwiesen ist wenig im Verhältnis zu den Affirmationen und Negationen, die einen breiten Teil der Bevölkerung einschüchtern und Schuldzuweisung fördern, wo Ursachenforschung nötig wäre. Der präsentierte Inzidenzenzahlensalat erinnert an den historischen Materialismus, nur ohne Dialektik. Um zu sagen, woran ein Mensch erkrankt und im Extremfall verstirbt, bedürfte es Untersuchungen, die allein schon durch Medikamente und Ignoranz von Vorerkrankungen verfälscht sind.
Die meisten mir bekannten Menschen wollen einfach nur zurück zu ihrer gewohnten „Normalität“. Um es klarzustellen: Ich bin weder Impfgegner noch Coronaleugner, sondern lehne die Art, wie Zwang und Druck juristisch, aber auch medizinisch installiert werden, als beschämend ab. Die verordneten Hygienemaßnahmen sind weder mit gelebter Demokratie noch mit gesundem Augenmaß in Einklang zu bringen.
Der Umgang mit reflektierenden Menschen hat mir das Vertrauen in den Schutz von physischer und mentaler Unversehrtheit geraubt. Um alle fachlichen Fehleinschätzungen und Kontradiktionen von Wunsch und Wirklichkeit aufzulisten, ist Monokausalität deplatziert. Im Grund ist alles schon gesagt worden, so oft, dass es inflationär verpufft.
Jeder Arzt, der es mit seinem Eid genauer nimmt als mit seiner gefährdeten Approbation, wird Ihnen das bestätigen, jeder Virologe wird Ihnen ausnahmslos bescheinigen, dass eine Impfung nicht andere, sondern nur das eigene Immunsystem zu schützen vermag. Wenn eine Maßnahme nicht die gewünschte Wirkung zeigt, ist sie nicht einfach zu verstärken, sondern eine andere notwendig: Das Hausmittel „mehr Impfung erzeugt mehr Wirkung“ ist eine Kalenderweisheit.
Ich fürchte, Sie kennen den Unterschied zwischen Effektivität und Effizienz nicht. Das erste meint das richtige Handeln und das zweite, das für richtig befundene Handeln so gut als möglich seinem Ziel zuzuführen. Die Menschen sind nicht klüger geworden, nur weil heute mehr studieren. Nach dreißigjähriger Erfahrung mit Studenten darf ich sagen: Das Niveau hat nachgelassen; nahezu proportional nimmt Bildungsqualität mit steigenden Abiturientenzahlen ab. Andere Länder haben uns längst überholt, wobei Bremen schon seit langer Zeit Bildungsschlusslicht ist.
Kritisches, eigenständiges Denken wird nicht gefördert, sondern Eingliederung in ein erwünschtes Diskursverhalten. Was sich an Universitäten längst etabliert hat, ist nun integrativer Teil einer PR-Maschine, die selektive Wahrnehmung praktiziert.
Ich stelle daher folgende Fragen, die Sie im Idealfall beantworten:
Können die Medien als vierte Gewalt ihre primären Aufgabe zu einer perspektivischen, idealerweise investigativen Berichterstattung und damit der Kontrolle der drei Gewalten augenblicklich erfüllen?
Bietet eine Impfung Schutz für Mitbürger?
Sind die Nichtgeimpften (mit)verantwortlich für die postuliert steigenden Inzidenzen?
Gewährt unser Immunsystem und ein weniger mit Stress vergiftetes Klima nicht insbesondere für junge und gesunde Menschen einen dauerhaft größeren Schutz und Stabilität als Impfung und Booster, die nachweislich bereits zur Rückfällen und Ansteckungen geführt haben?
Mutieren Viren nicht seit Menschengedenken, so dass es noch nie einen hunderprozentigen Schutz gegen sie gab? Hat in der Evolution nicht schon immer ein Konkurrenzkampf für die Vitalisierung des Immunsystems stattgefunden?
Sind die ergriffenen sogenannten Schutzmaßnahmen effizient (die Dinge richtig tun) oder effektiv (das Richtige tun) angesichts offiziell steigender Erkrankungen bei gleichzeitigem Abbau von medizinischen Ressourcen?
Halten Sie den Einsatz von Impfstoffen ohne gründliche Voruntersuchung der Geimpften für die gesundheitlich beste Lösung?
Wenn ja, gilt dies uneingeschränkt für Pharmaerzeugnisse, die nach so kurzer Testzeit zum Einsatz gelangen, also trotz fehlenden empirischen Werten über die Folgen bzw. Nebeneffekte einer Impfung?
Verlaufen Diskussionen zwischen verschiedenen Fachdisziplinen in der Beurteilung der Pandemie medial ausgewogen oder wertschätzend?
Wird präzise unterschieden zwischen Menschen, die unter den Maßnahmen der Regierung leiden und nachweislichen Schaden erleiden, und jenen, die den Staat stürzen wollen, folglich das Thema Corona nur für ihre Interessen benutzen?
Gehören „Querdenker“ und Rechtspopulisten in dieselbe Kategorie? Konkret: Darf man einen Menschen, der gegen den Impfzwang ist, als rechts gesinnt bezeichnen und einen Menschen, der für mehr Demokratie und Mitsprache in der Politik demonstriert, als Faschisten, Antisemiten oder Volksverhetzer diffamieren?
Ist die Duldung von Übergriffen auf pauschal als „Querdenker“ kategorisierter Menschen legal oder legitim?
Ist der Begriff „Querdenker“ als eine pejorative Sammelbezeichnung für unerwünschte Opposition zu Regierungsmaßnahmen angemessen?
Leben wir alle mehr oder weniger in einer Blase selektiver Wahrnehmung und PR-Propaganda, die uns aufgrund „blinder Flecken“ rechthaberisch statt Recht suchend macht?
Halten Sie die Statistiken der Infektionszahlen für aussagekräftig?
Finden sie es richtig, dass die Diäten erhöht, dass mit rund 5.000 Euro eine 20-Stunden-Tätigkeit in der Bürgerschaft honoriert wird, während Millionen Geringverdiener und der Mittelstand durch virale Schutzmaßnahmen in den finanziellen Ruin getrieben werden?
Sollte Solidarität nicht primär jenen Mitmenschen gelten, die andere Erfahrungen und Sorgen haben, weil ihre Lebenssituation, ihre Ziele sich von den meinen unterscheiden?
Wenn ja, gilt dies auch für Coronamaßnahmen?
Werden Leitbegriffe einer narzisstisch ausgerichteten Kultur, wie Solidarität, Freiheit, Menschenbildung, soziale Verantwortung, ethisches Verhalten und demokratische Disziplin, gelehrt, gelernt und gepflegt?
Besteht ein Gleichgewicht in der Berichterstattung über Zivilisations- und Volkskrankheiten wie Krebs, Herzinfarkt, Diabetes, über Autounfälle unter Alkoholeinfluss und über Opfer der viralen Pandemie? Nicht, um das eine Unglück gegen das andere aufzurechnen, sondern um zu zeigen, ob die Verhältnismäßigkeit von Sterbequoten gegeben ist und die drastischen Vorsorgemaßnahmen bis zur Androhung des Berufsverbots auch hier ergriffen werden.
Abschließend: Wer legt fest, ob ein Mensch monokausal an / durch / infolge oder mit einem Coronavirus gestorben ist?
Ich verstehe nicht:
Ich verstehe die RKI-Zahlen als absolute Leitlinie nicht. In meinen Augen ist das Datendiktatur. Ich weiß aus meinem eigenen Berufsleben, dass Zahlen nicht neutral sind („Fakten lügen nicht“), sondern sowohl durch Interpretation nachträglich und durch Fragen- oder Forschungsaufbau vorher manipuliert werden können. Der Mythos einer objektiven Wissenschaft ist falsifizierbar. Heidegger: „Die Wissenschaft kann nicht denken.“
Ich verstehe nicht, weshalb Familien und Freunde sich meiden, mitunter sogar isolieren und Kontakte aufbrechen, weil das Thema Coronamaßnahmen entweder Tabuisierung oder Eskalation erfährt. Beides erinnert an die fatale Fehlentwicklung der demokratischen Gehversuche in der Weimarer Republik und an die unmittelbare Nachkriegszeit, in der das eigene Wohlergehen den Blick auf das Große und Ganze verhinderte.
Ich verstehe nicht, wozu die Drohkulissen und der Impfdruck aufgebaut werden müssen. Sie erinnern an eine geplante PR-Strategie und fatales Krisenmanagement, das Sündenböcke außerhalb des Systems sucht.
Ich verstehe nicht, weshalb sich die Ungeimpften den täglichen Tests unterziehen müssen, die Geimpfte umgehen dürfen, obschon sich nachweislich die Übertragungsgefahr um keinen Deut verringert.
Ich verstehe nicht, weshalb vermummte Antifa-Mitglieder ungestraft mit körperlicher und verbaler Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorgehen dürfen. Ich verstehe nicht, wieso mit zweierlei Maß gemessen wird: In Bremen ist man auf dem linken Auge blind, um Joseph Roths Verdikt nach den politischen Morden an Erzberger und Rathenau in der Weimarer Republik zu invertieren.
Ich verstehe nicht, weshalb sogenannte „Gegendemonstranten“ bei den ihnen bekannten Ärzten (stereotyp gleichgesetzt mit Coronaleugnern) oder Bürgern, die durch öffentliche Auftritte ihre Stimme gegen die angeblichen Fakten aus medizinischer oder sonstiger Sichtweise äußern, ungestraft Hausfriedensbruch begehen können.
Ich verstehe nicht, wieso buten un binnen nicht die Krawallmacher und Volkshetzer wie Reichsbürger, AfD-Radikale oder Wehrsportgruppen mit Hitlergruß von jenen besorgten und verängstigten Bürgern klar unterscheidet, die ihre leidvolle Erfahrung mit Impfungen, mit staatlichem, sozialem oder beruflichem Druck, mit politisch einseitigen und häufig menschenverachtenden Bekundungen öffentlichen Ausdruck verleihen.
Ich verstehe nicht, wie öffentlich unilaterale Entgleisungen und Diffamierungen nicht auf vehemente Widerrede stoßen, statt dessen unsere Regierung gegenüber den Regierungen Polens oder Ungarns, die gleichfalls ausgewählte Minderheiten stigmatisieren, den moralischen Zeigefinger erhebt.
Ich verstehe die mediale und manipulative Panikmache nicht, die Hysterie schürt, wo Aufklärung Not täte, die bei den richtigen Bildern und Kommentaren zu den Ereignissen beginnt und bei kritischem Hinterfragen von Regierungsverantwortlichen endet.
Ich verstehe nicht, dass die Politik nicht frei von wirtschaftlichen Interessen agieren kann, der Lobbyismus zumindest begrenzt wird und nach wie vor einige Firmen, hauptsächlich Pharma- und Digitalisierungskonzerne ungeniert einen Profit erwirtschaften, während Millionen Menschen verarmen und um ihre Existenz kämpfen.
Fazit: Quo vadis Bremen? Unser derzeitiges Spaltungsklima trennt Politik, Wirtschaft, Medizin und Bürger in zwei unversöhnliche Meinungslager und macht eine Zukunft der Propagandisten und Egoisten ohne Gemeinsamkeit und humanitäre Ethik salonfähig.
Lesen Sie bitte „Der Untertan“ von Heinrich Mann – die Devotion der Kulissen-Politik mit tragisch anmutender Absurdität ist in Bremen unerträglich geworden.
Carpe diem,
Bernd Oei