

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Bremen hat den Start einer Veranstaltungsreihe zu den Lehren aus der Corona-Krise verhindert. „Klinische Erfahrungen mit Post-Covid/PostVac – Wie wirken die Spikes und die Impfungen?“ – darüber wollten am 7. Mai der Kardiologe Jörg-Heiner Möller und der Mediziner und außerplanmäßige Professor der Universität Münster Paul Cullen in Räumen der KV Bremen referieren. Die Veranstaltung war Teil der Reihe „Lernen aus der Pandemie – Medizin zwischen Politik und Wissenschaft“. Doch wenige Stunden vor Beginn zog die KV Bremen ihre Zusage zurück und kündigte dem Veranstalter, einem niedergelassenen Arzt aus Bremen. Zuvor war ein Aufruf einer Bremer „Basisgruppe Antifa“ auf „X“ verbreitet worden, die angesichts einer geplanten „rechten Veranstaltung“ die Kassenärztliche Vereinigung aufforderte, „von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen“ und die Referenten „aus ihren Räumen zu verweisen“. Der Aufruf enthielt auch einen Appell zu Stör-Aktionen: „Lasst diese Veranstaltung nicht widerspruchlos geschehen.“
Auf Anfrage von Multipolar bestätigt die KV Bremen, dass sie „kurzfristig über entsprechende Aufrufe aus der Antifa-Szene zur Störung der Veranstaltung informiert“ worden sei. Ausschlaggebend für die Rücknahme der Zusage sei jedoch gewesen, dass die KV Bremen „über den Veranstalter im Unklaren gelassen wurde“ und sowohl Veranstaltung als auch Veranstalter „nicht den Grundwerten der KV Bremen entsprechen“. Anmelder sei ein Bremer Arzt gewesen, auf dem Ankündigungsflyer sei dann aber zusätzlich das Logo des Ärztlichen Berufsverbandes „Hippokratischer Eid“ abgedruckt gewesen.
Laut dem Sprecher der KV Bremen habe jener Verband „unbelegte Behauptungen über Todesfälle und Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Corona-Impfungen verbreitet, die von Faktencheckern als größtenteils falsch eingestuft wurden“. Zudem werde „dem Verband vorgeworfen, in seiner Kritik an Institutionen wie der WHO antisemitische Narrative zu bedienen“. Damit nimmt die KV offensichtlich Bezug auf eine „taz“-Kolumne von Juni 2023, in der Kritik an der Abhängigkeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von privaten Geldgebern in die Nähe von antisemitischen „Verschwörungsnarrativen“ gerückt wird.
Der Veranstalter und Arzt Jürgen Borchert vermutet, dass die Antifa der eigentliche Auslöser für die kurzfristige Absage der Kassenärztlichen Vereinigung war. „Das wissen doch alle bei KV und Ärztekammer in Bremen, dass ich beim Hippokratischen Eid aktiv bin und immer wieder das Thema medizinische Pandemie-Aufarbeitung thematisiere“, sagt er im Gespräch mit Multipolar. Der Internist sitzt seit eineinhalb Jahren als Delegierter des Berufsverbandes in der Bremer Ärztekammer. Die Namen der zwei Referenten für die kurzfristig abgesagte Veranstaltung habe er der KV Bremen bei der Raum-Reservierung nicht explizit vorgelegt, sagt Borchert: „Das wurde bei der Raum-Miete auch gar nicht verlangt.“ Die Begründung der KV Bremen hält er für vorgeschoben. Zumal sich ebenfalls am Vormittag vor der Veranstaltung der Bremer Staatsschutz bei ihm gemeldet habe. Da war der Aufruf zum Stören der Veranstaltung der Bremer Antifa-Gruppe auf „X“ bereits veröffentlicht.
Bereits Anfang April hatte die KV Bremen die Buchung ihres größten Vortragssaales, mit bis zu 140 Plätzen, bestätigt – für insgesamt fünf Veranstaltungstermine der Reihe „Lernen aus der Pandemie“. Geplant waren etwa die Veranstaltungen „Sterblichkeitsdynamik und Übersterblichkeit in Deutschland 2010-2024“ mit Matthias Reitzner, Professor für Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik Universität Osnabrück (28. Mai), oder „Ursprung der Corona-Pandemie, Implikationen für die Zukunft“ mit Roland Wiesendanger, Professor für Physik an der Universität Hamburg (11. Juni). Laut Borchert sei die Veranstaltung von Bremer Mitgliedern des Berufsverbandes „Hippokratischer Eid“ bereits breit beworben worden – insbesondere in der „Hauptzielgruppe“ der Ärzteschaft in Praxen und Kliniken, aber auch in Apotheken und bei Gesundheitsberufen wie Physiotherapeuten oder Krankenpflegern. Auf dem Einladungs-Flyer, der Multipolar vorliegt, heißt es auch: „Drei Fortbildungspunkte sind von der Ärztekammer anerkannt.“ Das galt auch für Folgeveranstaltungen.
In einem Schreiben der Ärztekammer Bremen vom 7. Mai an Jürgen Borchert, das Multipolar vorliegt, heißt es, man „beabsichtige, die Anerkennungen für die oben genannten Veranstaltungen zurückzunehmen“, weil falsche Angaben zum Veranstalter vorgelegen hätten und weil „nach erneuter Prüfung“ bei einigen Veranstaltungen „allgemein-politische Inhalte“ dominieren würden, und nicht die „Weiterentwicklung der beruflichen Kompetenz“ der teilnehmenden Ärzte. Auch die KV Bremen schrieb in einer Stellungnahme, sie sehe „die Gefahr, dass die KV Bremen für politische Zwecke missbraucht wird, von denen wir uns ausdrücklich distanzieren.“
Sonja Reitz, Bundesgeschäftsführerin des ärztlichen Berufsverbandes „Hippokratischer Eid“ folgt diesem Argument nicht. „Medizinische Wissenschaft wird letztlich immer ‚politisch‘, wenn sie Belange von öffentlichem Interesse betrifft“, schreibt sie in einer Stellungnahme. So habe die wissenschaftlich festgestellte Häufung von Lungenkrebs bei Rauchern später Gesetze für die Raucherwerbung und Verbote am Arbeitsplatz zur Folge gehabt. Auch Jürgen Borchert betont: „Wir wollen evidenzbasiert, auf der Grundlage von wissenschaftlichen Studien und Zahlen, in der Ärzteschaft diskutieren, gern auch kontrovers.“ Zu allen, mittlerweile ebenfalls von der KV Bremen abgesagten Terminen seien hochkarätige Fachleute eingeladen worden. „Die KV Bremen verhindert eine wissenschaftliche Debatte unter Ärzten und Beschäftigten im Gesundheitswesen und verstößt damit gegen die Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes“.
Der Mediziner Borchert hatte bereits im August 2024 versucht, das Symposium „Hintergründe und Folgen der Coronakrise“ in Bremen zu organisieren, unter anderem mit dem Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen und dem Physiker und Qualitätsmanagementexperten Werner Bergholz. Die Veranstaltung fand nicht statt, weil Verträge für Veranstaltungsorte wieder gekündigt wurden oder gar nicht erst zustande kamen, wie Meyen in einer „Cancel-Chronik“ dokumentierte.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Multipolar. Wir bedanken uns für die Erlaubnis, ihn an dieser Stelle zu veröffentlichen.
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