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Vom Ich zum Wir – oder vom Wir zum Ich?

von Johannes Krauth

Für mich drückt dieser Spruch den Wunsch nach einer neuen Art von Miteinander aus, in dem jedes Individuum in seiner Einzigartigkeit einen Beitrag zum Ganzen leistet. Einen Beitrag, der genau seine Einzigartigkeit würdigt und zum Ausdruck bringt. Ohne diesen Beitrag würde vielleicht etwas fehlen.

So wie in einem Urwald (oder jedem anderen intakten Ökosystem) jedes Lebewesen sich einfach seinen Anlagen entsprechend entwickelt und verhält und dadurch das Ganze in perfektem Gleichgewicht weiter wächst, so könnte doch auch jeder Mensch in unserer Gesellschaft sich seinen Anlagen und Neigungen entsprechend entwickeln und etwas beitragen. Niemand müsste sich anpassen und verbiegen, müsste entfremdete Arbeit leisten, um seinen Lebensunterhalt zu „verdienen“. So beschreibt es Jesus schon im Neuen Testament, so beschreibt es auch Karl Marx in seiner Vision vom Kommunismus. Und so ähnlich haben indigene Völker Jahrtausende lang gelebt. Sollte so etwas nicht auch auf unserem Entwicklungsstand möglich sein? Mit all dem Reichtum, den wir haben, mit all den technischen Hilfsmitteln die wir haben – müssen wir da wirklich so erbärmlich leben wie wir es zurzeit tun?

Letztlich ist das doch auch die Idee der Schwarm-Intelligenz: Jeder hat einen Beitrag zu leisten und sollte ihn leisten, niemand weiß von vornherein, was richtig und was falsch ist.

Das setzt viel Vertrauen voraus, das stellt so etwas wie „Erziehung“ ganz grundsätzlich in Frage, aber wenn wir nicht den Mut zu solchen Visionen haben, dann werden wir – fürchte ich – nur wenig am Status quo ändern können.

Diese Vision ist für mich ausgedrückt im Satz „Vom Ich zum Wir“. Er soll ausdrücken, dass es uns nicht gut tut und uns auch nicht gemäß ist, wenn jeder nach möglichst viel Profit und Konsum strebt – wie es uns leider zur Zeit von früh auf eingeimpft wird. Das vorherrschende Weltbild ist ja leider geprägt von Ideen wie „Survival of the fittest“ oder „Das Leben ist ein Kampf“ – Ideen, die mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft nicht mehr vereinbar sind. Sie passten in die Zeiten von Newton und Darwin, in Zeiten, als man noch glaubte, der Geist eines Menschen säße im Gehirn und sein Leben sei bestimmt von seinen Genen. Das ist Wissenschaft von vorgestern (auch wenn sie in der Schule immer noch gelehrt wird).

Ja, manchmal ist es schön und gut, wenn alle das Gleiche tun. In einem Chor sollten jeder Sänger genau die vorgegebene Melodie singen. Aber noch schöner als ein einstimmiger Gesang ist ein mehrstimmiger. Und ich habe noch nie erlebt, dass irgend jemand (auch kein Musiklehrer) sich darüber aufgeregt hätte, dass ein Vogel im morgendlichen Gezwitscher „falsch“ singt. Jeder singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist – und das Ergebnis, das Ganze ist wunderschön!

Und das funktioniert nicht nur im chaotischen Gezwitscher so gut. Gerade habe ich ein Interview mit dem Chef eines großen Software- Unternehmens gehört. In diesem Unternehmen hat jeder Mitarbeiter das Recht, jede Regel zu verändern. Ohne dass vorher lange abgestimmt oder konsensiert wird. Undenkbar? Aber es funktioniert, und seit sie das so machen, steigt ihr Umsatz ständig an.

Und es gibt sicher noch viele Beispiele dafür, dass „Wir“ nicht auf Kosten der individuellen Freiheit gehen muss – im Gegenteil Erst das richtig verstandene „Wir“ macht es dem Einzelnen möglich, sich zu entfalten. Erst dann können wir den Reichtum genießen, den jede/r Einzelne mitbringt.

Wagen wir es! Viel zu verlieren haben wir nicht – aber viel zu gewinnen!

Dieser Text spiegelt die Ansichten und Ziele einer Einzelperson wider. Er stellt nicht die offizielle Haltung des Landesverbands oder der Gesamtpartei dar. Sachliche Kritik und Gegenmeinungen werden an dieser Stelle gern veröffentlicht.

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